Im Interview:

Mengting Gao, Mitgründerin von Kitchen Stories

31/07/2015
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Mengting, der Kitchen Stories Claim ist „Anyone can cook“. Das stammt aus dem Pixar-Film Ratatouille, nicht wahr?

MENGTING GAO: Ja, das ist einer meiner Lieblingsfilme. Der Spruch passt zu Kitchen Stories. Denn mithilfe unserer App kann wirklich jeder kochen.

Inwiefern unterscheidet sich Kitchen Stories von Kochportalen wie Chefkoch.de?

MENGTING GAO: Es gibt so viele schöne Kochbücher, Kochshows und Rezepte im Netz, und dennoch ist es schwierig, etwas zu finden, bei dem sicher ist, dass es einfach nachzukochen ist. Wenn ich aber die einzelnen Schritte in kurzen Videos erklärt bekomme, gelingen mir auch ohne Vorkenntnisse tolle Gerichte. Ein weiterer Vorteil unseres Angebots: Will ich Muffins statt für drei Leute für acht backen, kann ich das ganz einfach umstellen und die App rechnet mir die genauen Zutatenmengen aus.

Das Visuelle spielt bei Euch eine wichtige Rolle. Ist Pinterest eine Art Konkurrent für Euch?

MENGTING GAO: Auf jeden Fall. Im Grunde genommen ist für uns jeder als Wettbewerber zu betrachten, der auch nur halbwegs was mit Essen macht.

Und wie kommen die Nutzer auf Euch? Ihr seid ja unglaublich stark gewachsen – und das ohne Marketing.

MENGTING GAO: Wir haben uns bei Kitchen Stories wirklich nur darauf fokussiert, das beste Produkt zu bauen. Wir haben oft zu hören bekommen: Dafür gibt es doch schon zigtausend Produkte. Aber wir haben gesagt: Wir können das besser. Und über das Produkt ist Apple dann sehr schnell auf uns aufmerksam geworden.

Apple hat Euch 2014 in über 100 Ländern zur besten App in der Kategorie „Essen und Trinken“ gekürt.

MENGTING GAO: Durch diesen Push haben wir natürlich ein großes Grundrauschen. Der Erfolg von Kitchen Stories liegt aber auch daran, dass wir gute Nutzer-Bewertungen erhalten und dadurch in den App-Charts immer weiter nach oben steigen. Darüber gewinnen wir wiederum viele neue Nutzer.

Mengting Gao: Seit Kurzem habt Ihr auch eine Android-App. Wieso erst jetzt? War das eine finanzielle Frage?

MENGTING GAO: Meine Partnerin Verena und ich haben Kitchen Stories am Anfang zu zweit gestemmt und mit heimischem Kapital gerade noch so die 25.000 Euro für die GmbH zusammengekratzt. Damit war klar, dass wir mit dem Geld nur eine Plattform bedienen können. Unser Gefühl war, dass unser Produkt auf dem iPad am meisten zur Geltung kommt. Anschließend haben wir uns darauf konzentriert, den perfekten Content zu schaffen. Dadurch fehlten uns einfach die Mittel für Android. Unser Anspruch an die App ist ja für beide Betriebssysteme gleich. Weite ich das Angebot auf Android aus, optimiere ich die App plötzlich nicht mehr nur für sechs Geräte, sondern gefühlt für über 6000. Das war für uns lange nicht machbar. Bis vergangenen Oktober waren wir nur zu viert. Inzwischen haben wir ein größeres Team, zu dem auch drei Android-Entwickler gehören.

Welche Vorteile bringt die Apple Watch für Euch?

MENGTING GAO: Das für uns sinnvollste Feature ist unsere Shopping List. Das Problem kennt ja jeder: Man steht im Supermarkt, das Handy in der einen, der Einkaufskorb in der anderen Hand, und dann versucht man gleichzeitig noch ins Regal zu greifen – nervig. Mit der Shopping List auf der Watch, die sich mit deinen anderen Geräten synchronisiert, hast du die Einkäufe im Blick und kannst die einzelnen Zutaten auf dem Uhrendisplay abhaken. Außerdem pushen wir bei Kitchen Stories ein Rezept des Tages als Inspiration. Wem das Rezept gefällt, der kann es liken und die Zutaten gleich auf seine Einkaufsliste setzen.

Die meisten Eurer Videos sind nicht vertont und wenn, dann auf Englisch. Wieso habt Ihr Euch für diesen Weg entschieden?

MENGTING GAO: Wir wollen die Welt beim Thema Kochen verbinden. Internationalisierung stand also von Anfang an im Raum. Das ist auch das Gute an der App: Mobile gibt einem die Möglichkeit, von heute auf morgen international tätig zu sein, mit anderen Plattformen und anderen Modellen ist das nicht unbedingt zu schaffen. Wir haben festgestellt, dass Videos immer häufiger ohne Ton konsumiert werden, weil sie zum Beispiel bei Facebook einfach losspielen. Außerdem war uns bei den Videos wichtig, eine Marke aufzubauen, die personenunabhängig funktioniert. Im Bereich Kochen wird viel mit Testimonials wie Jamie Oliver gearbeitet. Davon wollten wir weg, bei uns geht es ums Kochen und nicht um den Entertainer dahinter.

Wobei Ihr auf Eurer Website auch bekannte Chefköche aufführt.

MENGTING GAO: Weil wir uns gesagt haben: Einfach nur eine Marke aufzubauen ohne jegliches Gesicht, das funktioniert auch nicht. Die persönliche Note ist wichtig. Deshalb haben wir zu jedem Rezept ein Testimonial, von denen anfangs auch ein paar bekannte Gesichter und Sterneköche waren, um die Marke im Premium Bereich zu positionieren.

Anfang des Jahres hattet Ihr drei Millionen Nutzer. Wie viele sind es inzwischen?

MENGTING GAO: Wir sind jetzt bei über sechs Millionen Usern weltweit. China ist unser größter Markt, gefolgt von Deutschland und den USA.

Viele sagen ja, man müsse in die USA gehen, um zu skalieren.

MENGTING GAO: China hat die USA bei den iOS-Downloads überholt, die App wächst dort stärker als in den USA. In Amerika ist der Food-Bereich dagegen stark umkämpft. Im Hinblick auf Funding wiederum sind die USA für Startups sehr wichtig, aber auch in China gibt es viel Kapital.

Überrascht Euch Euer Erfolg eigentlich?

MENGTING GAO: Ja, das kann man wohl sagen (lacht). Das Potenzial von Kitchen Stories haben wir zwar gesehen, aber wir hatten ja quasi am Anfang null Finanzierung. Das Überraschendste war eigentlich, dass man auch ohne Marketing die Leute gewinnen kann, wenn das Produkt gut ist.

Wie oft veröffentlicht Ihr neuen Content?

MENGTING GAO: Viermal die Woche: Donnerstag, Freitag, Samstag, Sonntag. Am Wochenende schauen einfach mehr Leute rein, deshalb haben wir die Updates in diesen Zeitraum gelegt. Bezüglich der Uhrzeiten experimentieren wir noch. Ein Drittel aller Rezepte kommt als Video. Zusätzlich haben wir ein großes Repertoire an Küchentipps in Videoform, die wir immer wieder bei Rezepten ergänzen. Wenn wir das Gefühl haben, das ist ein sehr neuartiges Rezept mit vielen Zwischenschritten, die nicht so häufig sind, machen wir ein ganzes Video. Gleiches gilt für klassische Gerichte.

Ihr habt ja low-budget angefangen. Wie seid Ihr bei den Videos vorgegangen?

MENGTING GAO: Keiner von uns kommt aus der Filmbranche. Wir wussten also gar nicht, was es bedeutet ein Video zu produzieren. Wir haben uns deshalb einen sehr guten Kameramann genommen. Außerdem brauchten wir eine geeignete Küche. Showküchen kosten aber 1500 Euro am Tag. Also haben wir uns ein Ferienhaus für 100 Euro am Tag genommen und uns vom Besitzer abzeichnen lassen, dass wir dort Videos drehen und veröffentlichen dürfen. Inzwischen haben wir aber eine eigene Showküche.

Was hat sich durch die Finanzierung für Euch geändert?

MENGTING GAO: Verena und ich sind jetzt nicht mehr ganz so operativ dabei, sondern erfüllen jetzt mehr und mehr Management-Aufgaben. Wir versuchen, dabei sehr viel im Team zu machen, auch wenn wir bei Kitchen Stories inzwischen knapp 30 Leute sind. Morgens treffen wir uns zum Beispiel zu einem kurzen Meeting, bei dem sich die Abteilungen untereinander austauschen können. Und beim „Lucky Lunch“ gehen mittwochs zwei Leute aus unterschiedlichen Abteilungen zusammen essen, um sich besser kennenzulernen und zu verstehen, was der andere eigentlich macht. Auch Transparenz ist uns wichtig. Wenn ein Investor reinkommt, weiß das Team, wer das ist und an welchem Punkt wir uns befinden.

Und was hat sich im Hinblick auf Investoren geändert?

MENGTING GAO: In der ersten Runde – zu der ich auch die letzte Finanzierung im November zählen würde – hatten wir hauptsächlich mit Business Angels zu tun. Den Lead haben damals Verena Pausder und Moritz Hohl von Fox & Sheep gemacht. Und auch BDMI war von Anfang an dabei. Im November kam dann noch Point Nine Capital dazu. Uns war wichtig, dass unsere Investoren uns wirklich richtungsweisende Tipps geben können, auch bezüglich Internationalisierung. Diese Bedürfnisse haben sich geändert. Inzwischen ist klar: Wir wollen eine globale Community. Neue Investoren müssen uns als Team vertrauen.

Mengting Gao: Wie kam der Kontakt zu Verena und Moritz zustande?

MENGTING GAO: Wir sind ohne externe Finanzierung live gegangen und wurden gleich zwei Wochen später im App Store gefeatured. Verena und Moritz haben uns dort dann entdeckt und sich mit uns zum Lunch getroffen. Zwei Stunden später riefen sie an und sagten, sie seien dabei. Zu dem Zeitpunkt haben sie nicht wirklich was von Kitchen Stories gesehen. Sie kannten grob die Zahlen, aber in erster Linie basierte ihre Entscheidung auf dem Produkt. Inzwischen wollen die Investoren schon wissen, wie viele Leute sich angemeldet haben, wie viele Nutzer sind aktiv, wie viele kommen zurück und so weiter. Wir haben jetzt aber auch ein Jahr hinter uns und sehen, was funktioniert hat und was nicht.

Man sagt ja immer: Nach der Finanzierung ist vor der Finanzierung.

MENGTING GAO: Ja, wir machen gerade wieder eine Runde, die hoffentlich bald bekannt gegeben werden kann. Wir haben ein gutes Angebot erhalten, ohne selbst auf Investorensuche gehen zu müssen. Es ist einfach viel Geld im Markt. Wir spüren, dass die Leute sehr willens sind zu investieren.

Oder auch müssen.

MENGTING GAO: Ein gewisser Druck herrscht vor. Das ist natürlich für Startups was Gutes, wobei man sehen muss, wie lange das noch so geht. Es kann schließlich auch sein, dass der Markt Ende des Jahres komplett am Boden ist und nur noch Follow-ups gemacht werden. Aktuell sind die Leute sehr risikofreudig, das spielt uns in die Karten.

Wofür benötigt Ihr das Geld?

MENGTING GAO: Wir haben Anfang des Jahres bei Kitchen Stories das Thema Community gestartet, um zu sehen, ob das angenommen wird. Und ja, es wird. Unsere Nutzer machen wirklich gute Sachen. Insgesamt müssen wir noch sehr viel ins Produkt investieren. Wir sind noch nicht da, wo wir hinwollen. Teil unserer Content-Strategie ist es zudem, zu einer Daily App zu werden und die Leute öfter in die App zu holen.

Im Food-Segment fließen momentan unglaubliche Summen. Auch HelloFresh hat 150 Millionen Euro eingesammelt. Ist der Markt wirklich so groß?

MENGTING GAO: Bei einem Vortrag habe ich letztens den Satz „100 percent of people eat“ gehört, und besser kann man das nicht beschreiben. Der gesamte Food-Sektor selbst befindet sich im Umbruch, weil hier noch viel nach alten Mustern abläuft, egal ob jetzt Verlag, Supermarkt oder Restaurant, an jedem einzelnen Punkt kann man ansetzen und das nochmal neu aufrollen, und das ist das Spannende an dem Markt.

Siehst Du im Food-Sektor Innovationen, die Dich beeindrucken?

MENGTING GAO: Es gibt sehr viele Themen im Food-Bereich, vor allem im Nutrition-Bereich, die absolut spannend sind. Die ganzen Commerce-Modelle zum Beispiel, aber auch klassische Küchenutensilien wie von der Waage bis zur Küche selbst werden weiterentwickelt. Das geht da hin, dass dir die Waage sagen kann, was im Topf ist und als nächstes rein muss. Diese Produkte brauchen Content und da kommt Kitchen Stories ins Spiel.

Bei all den Lieferdiensten am Markt: Kochen die Leute überhaupt noch regelmäßig?

MENGTING GAO: Das muss man sehr länderspezifisch betrachten. Wir sehen, dass die Leute zunehmend Essen bestellen oder essen gehen. Viele haben auch gar nicht zu Hause gelernt zu kochen. Gleichzeitig ist Kochen zu etwas Besonderem geworden und auch das Bewusstsein für gesunde Ernährung hat zugenommen. Ich will nicht mehr einfach irgendwas kochen, sondern etwas Spezielles oder Veganes, glutenfrei oder arm an Kohlenhydraten. Essen ist einfach ein Lifestyle-Thema geworden.

Das Interview führte Jan Thomas. 

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