Billigsekt und Müdigkeit:

So sahen die ersten Stunden von Mymuesli wirklich aus

01/05/2017
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Knallende Korken, Champagner, eine rauschende Party bis zum Morgengrauen – so stellt man sich den Beginn des eigenen Startups vor. Doch von dieser Traumvorstellung waren wir in der Nacht auf den 1. Mai 2007 sehr weit entfernt: Es war tatsächlich eine lange Nacht, aber statt zu feiern wollten wir nur noch ins Bett: Es war 4.03 Uhr, als Hubertus dann endlich den Knopf drückte. Ganz leise: klick.

Zu dritt standen wir vor dem Rechner, ich hörte meinen eigenen Puls in den Schläfen klopfen. Da war es also online, unser Baby. Ein Wunschkind. Wie lange hatten wir darüber nachgedacht, uns den Kopf über den passenden Namen zerbrochen, uns vorgestellt, wie es aussehen, wie rund und schwer es werden könnte – vor allem aber: wer außer uns selbst sich noch darüber freuen würde. Irgendjemand da draußen? War da wer?

Mymuesli: endlich online

Es fühlte sich so an, als seien wir alleine auf diesem Planeten. Um dennoch so etwas wie einen denkwürdigen Augenblick herbeizuzwingen, stießen wir mit Billigsekt an, halbtrocken, handwarm. Stilecht in Ikea-Saftgläsern. Niemand von uns hatte wirklich Lust darauf, aber ein Freund von uns war extra in unsere spärlich eingerichtete Passauer Studenten-WG gekommen, um den Moment zu filmen.

Wenn man die Aufnahmen heute sieht, kann man unsere Gesichter kaum vor der weißen Wand erkennen: Denn vor diesem seltsamen Augenblick um 4.03 Uhr hatten wir drei Nächte lang nicht wirklich das gemacht, was man schlafen nennen könnte. Wie drei Zombies sahen wir aus, blass, müde und rot um die Augen.

Die Mymuesli-Gründer Philipp Kraiss, Max Wittrock und Hubertus Bessau im Jahr 2007 (v. l.; Foto: Jan-Ulrich Schulze)

Was uns auch jedes Mal auffällt, wenn jemand das Video zeigt: dass es in der WG überraschenderweise aufgeräumt aussah. Wahrscheinlich hatten wir die zweieinhalb Quadratmeter rund um den Rechner ein bisschen freigeschaufelt, denn für häusliche Ordnung hatten wir die Wochen vor dem Start keine Zeit mehr gehabt. Genau weiß ich das aber nicht mehr, denn nach unserer schweren Website-Geburt konnte ich nicht mehr geradeaus schauen, ich konnte mein Saftglas kaum mehr gerade halten und denken konnte ich überhaupt nicht mehr.

Eigentlich war alles entspannt angelaufen: Gut eine Woche vor unserem Kick-off hatte Hubertus die Website endlich so weit, dass sie gut aussah und stabil lief:

„Hallo, wir machen Müsli. Stell Dir Dein Müsli selbst zusammen. Wir liefern es Dir nach Hause.“

So schlicht stand auf unserer Seite, was wir in monatelanger Kleinarbeit ausgedacht und jetzt auf die Straße gebracht hatten. Das sah schön aus. Doch ob die Idee von Mymuesli funktionieren würde? Das wussten wir ganz und gar nicht. Und ob wir drei Studenten als Lebensmittelhersteller taugen würden, daran hatten wir sogar Zweifel, die wir vorsichtshalber gleich mit auf die Seite setzten:

„Wir wissen einfach nicht, was uns erwartet, und müssen sicherlich noch einige Abläufe optimieren. Das eine oder andere wird auch schiefgehen, deshalb hoffen wir in den ersten Wochen auf eure Unterstützung und euer Verständnis, falls es mal einen Tag länger dauert oder sich die Website komisch verhält. Wir sind für Feedback jeder Art dankbar. Was funktioniert nicht? Was könnten wir besser machen? Sagt es uns!“

72 Stunden vor unserem Kick-off fiel Hubertus auf, dass unser Preissystem nicht wirtschaftlich funktionierte: Kunden konnten die Dose voller teurer Zutaten füllen, aber am Ende blieb der Preis gleich. Wir hätten also mit jeder Dose Verlust machen können, mussten alles umwerfen und neu machen.

Warum wir uns nicht einfach mehr Zeit genommen hatten, um alles neu auszurechnen und zu programmieren? Gegenüber Freunden und Familie, besonders aber in der damals schon nicht mehr so kleinen Blogger-Szene, hatten wir ordentlich Wind für unsere Müsliidee gemacht. Jetzt mussten wir auch liefern.

Damals schrieben wir selbst noch ein privates Blog, die „Rundschreiben für Ästhetik und Konsumgütervielfalt“. Als wäre das nicht schon bescheuert genug, trugen wir dazu Cord-Jacketts. Mit unserem Blog im Netz und den Sakkos im Koffer wollten wir zur Republica 2007. Der Name dieser Konferenz ist heute Synonym für eine Fast-Vollversammlung der digitalen Gesellschaft in Berlin. Damals, in ihrem ersten Jahr, war das alles noch ein überschaubares Klassentreffen derjenigen, die wie wir ungern auf Klassentreffen gehen: weil es da meistens kein WLAN gibt.

Die Welt kannte unseren Starttermin

Das Internet war und ist unsere Welt: Und es fühlte sich gut an, sich nach analogen Jahren an der Uni endlich digital outen zu können. Wir wollten nicht nur ein Blog schreiben, sondern ein Startup gründen. Und dazugehören. Relevant sein. Online.

Wir hatten uns also in Berlin rege vernetzt, von unserer Idee erzählt, unseren Starttermin verkündet und zu Hause haben wir die Sache dann noch einmal in unserem eigenen Blog bekräftigt:

„Wir sind wieder zu Hause. Und schön war es. Danke an Lukas, bei dem wir wohnen konnten. Und da wir ja aus dem tiefen Niederbayern angereist sind, ist allein die Stadt schon immer ein Erlebnis. Danken oder grüßen wollen wir einige; hoffentlich sieht man sich bald wieder. ( …) Aber, most importantly, vor lauter Vorfreude hätten wir es beinahe vergessen: Am 30. April startet endlich unser neues Projekt. Wer rechtzeitig informiert werden möchte, der trage sich bitte für den Newsletter ein.“

Wir kamen also nicht mehr raus aus der Nummer. 150 Neugierige hatten sich zu unserem Newsletter angemeldet und das Internet, die Welt, die kannte unseren Starttermin: 30. April 2007.

Blogger wie wir – so unsere Fantasie – würden ab der ersten Minute beobachten, was wir tun. Würden darüber dann in ihren eigenen Blogs schreiben. Und das würden Printjournalisten lesen, die in diesem langweiligen Jahr 2007 ebenfalls über uns schreiben würden, dann kämen Radio und Fernsehen, wo wir in Talkshows über Müsli diskutieren würden. Eine völlig größenwahnsinnige Fantasie, klar. Doch damit stand fest: Starttermin unbedingt einhalten. Schlafen? Verboten bis zum Launch. Tatsächlich kam das mit den Bloggern und den Journalisten später exakt so, nur zu Talkshows hat uns damals keiner eingeladen – aber der Reihe nach.

Als wir abends die Berliner Torstraße entlangliefen, wo heute unzählige Startups sitzen, Deals gemacht und Businesspläne geschmiedet werden, da konnten wir noch nicht ahnen, was in den nächsten Jahren aus unserem Müsliprojekt werden würde. Zum Glück wussten wir in diesem Moment auch nicht, welche enormen Schwierigkeiten so ein Startup-Baby noch machen würde. Wie glückliche Eltern in spe saßen wir, Bier trinkend, auf einer Parkbank und fantasierten in den Sonnenuntergang. Besonders von den vielen schlaflosen Nächten ahnten wir damals noch nichts: Wir hätten den Knopf sonst vielleicht nicht gedrückt.

BUCHTIPP: MACHEN!

Die Mymuesli-Gründer Max Wittrock, Hubertus Bessau und Philipp Kraiss erzählen in dem Buch „Machen! Das Startup-Buch der mymuesli-Gründer“ ihre Geschichte und was Gründer aus ihr und den Fehlern der Autoren lernen können. Das Buch ist im Edel Verlag erschienen und ab dem 30. April 2017 online, in allen Mymuesli-Stores und im Buchhandel erhältlich.

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