Das Leadership-Modell OKR erscheint auf den ersten Blick sehr zugänglich. Der Teufel liegt wie so oft im Detail. Im ersten Teil unseres Experten-Ratgebers geht es vor allem um die Unternehmensziele, die Key Results.
OKR-Experte Patrick Lobacher von Pluswerk Consulting. Foto: Pluswerk Consulting GmbH
Das OKR-Prinzip gilt als sehr agil. Warum eigentlich?
Patrick Lobacher, CEO von Pluswerk Consulting, München, Berlin, London: Die DNA von Objectives & Key Results ist durch und durch „agil“. Das agile Manifest, welches 2001 von zahlreichen Managementund IT-Vordenkern ins Leben gerufen wurde, ist heute noch Pate für die einzige Antwort auf die komplexe Welt der Digitalisierung. Ändert man im Manifest „Software“ durch „Ergebnisse“, wird der Zusammenhang zum agilen Unternehmen schnell klar. Genau wie Scrum, Design Thinking, Lean Startup & Co. ist auch OKR eine Anwendung der Agilität. Dies zeigt sich durch z. B. kurze Zyklen, Visionsgebundenheit, stetige Verbesserung durch Retrospektiven, hohe Adaption, tief greifendes Alignment, hohes Commitment sowie durch Menschen und deren Interaktionen.
„Ein einfacher Tipp ist, am Anfang nur mit Unternehmens- und Team-OKRs zu arbeiten“
Jonathan Morrice
Florian Michalik, CEO von Team of Talents, erklärt OKR. Foto: Team of Talents
Bei OKR sind die Team- und Unternehmensziele meistens unerreichbar hoch. Führt das nicht zwangsläufig zu Demotivation?
Florian Michalik, CEO von Team of Talents, Berlin: Sowohl die Objectives als auch die Key Results sollten ambitioniert gewählt werden und sich unbequem anfühlen. Teams sollen aus ihrer Komfortzone herausgelockt werden. Wie beim Sport stärkt das die Fähigkeiten und mit jedem 3-Monats-Zyklus wird das Team leistungsfähiger. Auf der Einzelebene geht es aber auch um intrinsische Motivation. Neben Entscheidungsfreiheit (Autonomy) und Sinn (Purpose) sind Menschen ja bestrebt, immer besser zu werden und sich selbst zu übertreffen (Mastery). Das lässt sich auch bei fast jedem Hobby beobachten. Wichtig ist, dass die Key Results erreichbar sind, denn sie sind im Vergleich zu den Objectives messbar. Viele Unternehmen blockieren jedoch (unbeabsichtigt) diese intrinsische Motivation, denn in klassischen Organisationen ist man es gewohnt, seine Zielvereinbarungen mit den Vorgesetzten zu treffen. Dabei geht es i. d. R. um Ergebnisse, Budgets oder Zeitpläne, die bei Nichterfüllung negative Konsequenzen nach sich ziehen. Daher verschwenden Mitarbeiter viel Energie darauf, Unternehmensziele möglichst konservativ – also klein und risikolos – zu definieren und gleichzeitig dem Chef zu erklären, wie kompliziert die Aufgabe doch ist. Man weiß vorab, dass der Chef die Ziele noch ausdehnen wird, und kalkuliert dies mit ein. Sich außerhalb der Komfortzone zu bewegen, kann die Karriere gefährden und wäre unvernünftig. Man darf nicht vergessen: Die Objectives und Key Results werden nicht vom Teamleiter oder höheren Hierarchiestufen vorgegeben, sondern vom Team selbst definiert. Am Ende findet lediglich eine kurze Abstimmung (Alignment) vertikal (in der Hierarchie) und horizontal (Teams auf derselben Hierarchiestufe) statt.
Wenn Ziele verfehlt werden
Florian Michalik: Auch am Ende des 3-Monats-Zyklus muss niemand negative Konsequenzen fürchten, wenn Ziele nicht vollständig erreicht wurden. Die Werte im OKR-Prozess werden vielmehr als unternehmerische Messwerte gesehen. Wurden die Ziele zum Beispiel nur zu 50 % erreicht, fragt sich das Team, was zur Erreichung eines höheren Werts gefehlt hat und was man daraus lernen kann. Diese Kultur des Scheiterns ermög-
Alexander Lapp, CCO von Adacor Hosting. Foto: Adacor Hosting
Stehen persönliche Ziele und ambitionierte Unternehmensziele nicht manchmal im Konflikt zueinander?
Alexander Lapp, CCO von Adacor Hosting, Offenbach am Main: OKR bietet die Möglichkeit, jedem Mitarbeiter ein Gespür seiner eigenen Tätigkeiten für die Unternehmensziele zu geben, weshalb die Einbindung der Mitarbeiter zwingende Voraussetzung bei der Implementierung ist. Bei sauber definierter Ableitung von der Vision über die Quartals- oder Jahresziele wird für jeden Mitarbeiter deutlich, was er leisten kann, um das Unternehmen positiv zu verändern. Dabei wird die Erwartungshaltung bei der Zielerfüllung durch die entsprechenden Abstimmungen und das Alignment im Vorfeld diskutiert und abgestimmt, sodass die Unternehmensziele für alle klar definiert sind.
Wie funktioniert die Zielsetzung?
Alexander Lapp: Wichtig sind zuallererst Mission, Vision und Unternehmens- sowie Teamziele. Die persönlichen Ziele eines jeden Mitarbeiters sollte man erst am Ende einführen, wenn einige gemeinsame Abstimmungen und OKR-Zyklen ausdiskutiert wurden und die Unternehmensziele oder die Ziele eines Teams im Vordergrund standen.
OKR-Experte Johannes Müller von Workpath erklärt warum OKR mehr ist als nur Unternehmensziele. Foto: Workpath
Für welchen Unternehmenstyp ist OKR geeignet?
Johannes Müller,CEO von Workpath, München: Grundsätzlich funktioniert agile Unternehmenssteuerung mit Objectives und Key Results in jeder Organisation und in allen Branchen, solange bestimmte Grundvoraussetzungen gegeben sind. In unterschiedlicher Ausprägung verbreiten sich OKRs heute in Unternehmen von zwanzig bis fünfzigtausend Mitarbeitern; und nicht nur in Digitalunternehmen wie Flixbus und Zalando, sondern auch in Mittelstand und Industrie, von Maschinenbau-Betrieben bis hin zum Einzelhandel. Unbedingt notwendig sind jedoch die Reife und der Rückhalt der Führungskräfte. Auch das richtige Einordnen und Verstehen der Methode ist wichtig: OKRs sind ein sehr flexibler Ansatz, um Unternehmensziele zu setzen, welcher in vielen Aspekten auf die eigenen Anforderungen und Rahmenbedingungen angepasst werden kann und muss. OKRs sind viel mehr als nur Werkzeug zur Setzung von Unternehmenszielen, sondern stehen für eine Haltung und eine Reihe wichtiger agiler Prinzipien, die durch den Prozess in die Unternehmens-DNA integriert werden können.
OKR-Experte Jens Backes von Agile Management Experten. Foto: privat
Mit welchen Tools sollte man arbeiten?
Jens Backes: Bei der Konzeption des idealen OKR-Systems für das eigene Unternehmen ist es wichtig, die IT-technische Unterstützung zu beachten. Wird ein einfaches Spreadsheet genutzt (zum Beispiel eine geteilte Google-Tabelle), besteht das Risiko, dass am Ende eine Insellösung erzeugt wird, die für die meisten Mitarbeiter nur eine untergeordnete Verbindung zu den täglichen Aufgaben aufweist und für den einzelnen Mitarbeiter nur zusätzliche Arbeit ohne wahrnehmbare Benefits bringt. Bewährt hat sich die Abbildung der OKRs mithilfe einer digitalen Arbeitsplattform (zum Beispiel Asana.com oder wrike.com), mit der gleichzeitig auch das Aufgaben- und Projektmanagement gesteuert werden. So vermeidet man zusätzlichen Schulungsaufwand und stellt eine klare Verbindung zwischen dem Tagesgeschäft jedes einzelnen Mitarbeiters und den übergeordneten Zielen her.
Mehr zum Thema Objectives and Key Results:
- So funktioniert OKR: Wie ein großes Orchester
- Das Leadership-Modell: Das sagen Experten (Teil 2 - Implementierung)
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