In Sachen Plastikmüll ist Deutschland mit 37 Kilogramm Verpackungsmüll pro Kopf im Jahr unter den Top vier Umweltsündern in Europa. Darüber können auch der grüne Punkt und die Recycling Tonne nicht hinwegtäuschen. Mehr produzieren laut Eurostat nur Irland (61 Kilogramm), Luxemburg (52 Kilogramm) und Estland (46,5 Kilogramm). Doch das ist nur die Spitze des Müllbergs. Denn Plastik steckt mittlerweile überall: Es hält Lebensmittel frisch, macht Kleidung wasserfest, stopft Zahnlöcher und hilft in Kosmetika in Granulatform, Zahnbelag oder Hautschuppen zu entfernen.
Gegen viele dieser Anwendungen stehen ernsthafte gesundheitliche Bedenken, die vor allem von Umweltverbänden immer wieder thematisiert werden. Dazu kommt, dass neben Tüten und Verpackungen auch winzige Mikropartikel, etwa aus Synthetik-Kleidung, unentdeckt von der Waschmaschine über Abwasser und Kläranlage ins Meer wandern. Es gibt aber Alternativen, teils sogar sehr vielversprechende: von nachwachsenden, natürlichen Verpackungsmaterialien, Naturkleidung bis zu neuen, spannenden Recycling-Prozessen. Zahlreiche Startups arbeiten daran, die Plastikmüllberge abzubauen, und trotzdem: Ganz verschwinden wird Plastik aus unserem Leben nicht.
Plastikindustrie schreibt 14,5 Milliarden Jahresumsatz
Alleine die 300 Mitglieder der Industrievereinigung Kunststoffverpackungen e. V. (IK) sind für 90.000 Beschäftigte verantwortlich und schreiben einen Jahresumsatz in Höhe von 14,5 Milliarden Euro. Dazu kommt, dass bisher noch kein Material entwickelt oder entdeckt wurde, das alle Anwendungen von Plastik ersetzen kann.
„Manche Dinge sind aus Plastik, weil es am besten ist, sie aus Plastik zu machen. Plastik ist fantastisch. Bisher habe ich von keinem anderen Material gehört, das so vielfältig einsetzbar ist, so beständig, stark und dabei so billig herzustellen“, sagt Miranda Wang, die mit ihrer Firma BioCellection einen Prozess entwickelt hat, mittels dem die starken Carbon-Verbindungen mechanisch nicht aufbereitbarer Plastikabfälle aufgebrochen werden können. Denn das eigentliche Problem, da stimmt auch Mara Hancker, Sprecherin der IK zu, „ist nicht das Plastik selbst, sondern was nach dem Gebrauch damit geschieht“.
Ziel ist ein Kreislauf der Ressourcenwirtschaft
Hauptziel ist es daher, mehr Plastik in den Wertstoffkreislauf zurückzuführen. Laut Eurostats werden in Deutschland rund 40 Prozent des Plastikmülls recycelt, vorwiegend zu Rohren oder Transportpaletten. Doch wie die restlichen 60 Prozent verwerten? Im europäischen Kreislaufwirtschaftspaket ist ein Ziel von 60 bis 70 Prozent vorgesehen. „Die Kreislaufwirtschaft hinkt leider sehr hinterher“, erklärt David Wortmann, der sich seit fast zwei Jahrzehnten mit dem Thema beschäftigt und als Mentor des Berliner Cleantech Innovation Centers Startups aus diesem Bereich mit Rat und Tat zur Seite steht. Dafür seien die Potenziale umso größer.
Mehr als nur Recycling
„Cradle to Cradle“, also „Wiege zu Wiege“ statt „Wiege zu Bahre“, lautet Wortmanns Credo. „Wir müssen von der linearen Wertschöpfungskette hin zu einem Kreislauf der Ressourcenwirtschaft, wobei in der Endversion die Produkte schon so designt werden, dass sie zu 100 Prozent recycelt werden können.“
Bioplastik: eine Alternative?
Bioplastik heißt eine von der Industrie vorgestellte Lösung. Problematisch ist jedoch, dass die bisher entwickelten biobasierten Kunststoffe den Wertstoffzyklus momentan eher stören, als ihm zu nutzen. Sie zersetzen sich nämlich weder automatisch, noch können sie mit den herkömmlichen Wertstoffen aufbereitet werden, sondern müssen in spezielle industrielle Kompostierungsanlagen.
„Die Deutschen schauen mehr aufs Geld als auf die Nachhaltigkeit“
Schluss mit Plastik: Chinas Einfuhrstopp
Die meisten Startups setzen auf nachhaltigere Alternativen, auf rein natürliche Rohstoffe wie Pflanzenfasern, Maisstärke, Pilzgewächse, Holz oder – Strohhalme. Ursprünglich wollte sich das Startup aus dem bayerischen Raubling, das sehr eng zu einem herkömmlichen Plastikhalm-Hersteller steht, auf den deutschen Markt konzentrieren, aber „die Deutschen schauen mehr aufs Geld als auf die Nachhaltigkeit und kaufen die drei Cent billigeren Plastikhalme“, weiß Bio-Strohhalm-Geschäftsführerin Jana Gessert.
Hauptabnehmer für die Bio-Strohhalme sind neben dem europäischen Ausland auch Asien, Saudi Arabien und China. Das Land, das seit Jahren rücksichtslos auf Kosten der Umwelt wächst, denkt um. Das macht auch der im Januar dieses Jahres verhängte Einfuhrstopp von Altkunststoffen deutlich.
Gewohnheiten ändern sich nur langsam
Und wohin jetzt damit? Damit der Berg nicht unüberwindlich wird, muss schnell gehandelt werden. Nicht nur Industrie, Gastronomie und Hotellerie haben hier jede Menge Spielraum für Verbesserung, sondern auch die Konsumenten. Wer wäscht tatsächlich alle Joghurtbecher aus, bevor sie zum Recycling in der grünen Tonne landen, und nutzt Jute statt Plastik, wenn es mal schnell gehen muss?
Das Konzept der Unverpackt-Läden, in denen Konsumenten die Produkte in mitgebrachte Behälter abfüllen, ist spannend und breitet sich immer mehr aus. Billiger ist es aber, im regulären Supermarkt einzukaufen, und natürlich viel praktischer, sich seine Einkäufe von einem der vielen Bringdienste liefern zu lassen. Das entspricht unseren heutigen Gewohnheiten – und die ändern sich leider nur sehr langsam.
Plastikverbot im Buckingham Palace
Doch auch dafür gibt es Ideen: Mit der ECO coin hat das niederländische Next Nature Network eine Währung und App geschaffen, die Teilnehmer für umweltbewusste Handlungen und Aktivitäten wie, Recycling, nicht nur moralisch, sondern auch ökonomisch belohnt. Zum Einsatz kamen die ECO coins bereits auf einigen Musikfestivals, wo Teilnehmer etwa durch das Zurückbringen von Bechern ECO coins verdienen konnten. Durch die Verknüpfung des ECO coin Wallets mit den RFID-Festivalbändern öffneten sich ECO-bewussten Trägern neue VIP-Bereiche. Ein anderes Vorbild ist die englische Queen, die kurzerhand alle Plastikflaschen und -strohhalme aus dem Buckingham Palace verbannte.
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