Die Zukunft der deutschen Automobilindustrie
Wohin entwickelt sich die Automobilindustrie?
Als Bertha Benz im August 1888 mit dem Motorwagen Nummer 3 von Mannheim nach Pforzheim aufbrach, da gab es weder Straßen noch Tankstellen. Ihr Mann Carl Benz hatte zu der Zeit zwar bereits seit zwei Jahren ein Patent auf das von ihm erfundene Automobil. Aber die potenziellen Kunden waren skeptisch, weil der Motorwagen bis dahin nur kurze Strecken bewältigt hatte. Mit der ersten Fernfahrt der Automobilgeschichte bewies Bertha Benz, was das Automobil leisten konnte. Der Siegeszug des Motorwagens begann.
Im Prinzip sind es heute die gleichen Einwände, die Skeptiker gegen neue Antriebstechnologien anführen: fehlende Reichweite und fehlende (Lade-)Infrastruktur. Und ganz ähnlich wie damals die Droschkenhersteller führen die Automobilhersteller auch heute Rückzugsgefechte, um ihre bestehenden Geschäftsmodelle zu verteidigen. Das ist verständlich, denn beim Umstieg auf alternative Technologien, werden nicht nur die Investitionen in bestehende Produktionstechnik entwertet, auch hunderttausende Arbeitsplätze sind in Gefahr.
Das gilt vor allem, aber nicht nur für das Automobilland Deutschland. Womöglich gibt der Diesel-Skandal der Entwicklung einen letzten kleinen Schub in eine neue Richtung. Allerdings wird eine neue Antriebstechnik allein die immer größer werdenden Verkehrsprobleme nicht lösen. Wohin entwickeln sich Automobilindustrie und Mobilität? Wie wird Verkehr künftig organisiert?
Natürlich schauen die etablierten Automobilhersteller Trends wie Elektromobilität, autonomes Fahren und Carsharing nicht tatenlos zu. Allein die deutsche Automobilindustrie investiert jährlich weltweit 39 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung, das sei doppelt so viel wie noch vor zehn Jahren, sagt Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie VDA. Dabei verlässt sich die Automobilindustrie aber nicht nur auf ihre eigenen Entwicklungen. Von Audi über BMW, Daimler, Ford, Opel und Porsche bis zu Volkswagen haben alle in Deutschland produzierenden Hersteller eigene Startup-Einheiten aufgebaut, sie kooperieren mit Startups oder investieren in junge Technologiefirmen. Der Schwerpunkt dieser Aktivitäten und der Startups liegt dabei in Süddeutschland, wo auch die meisten Hersteller sitzen.
„Die deutsche Automobilindustrie investiert in Forschung und Entwicklung 39 Milliarden Euro – doppelt so viel wie noch vor zehn Jahren“
Aber wie sieht die Zukunft der Mobilität aus? Stephan Rammler ist Mobilitätsexperte und Professor für Transportation Design und Social Sciences an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig. „Wir erleben gerade den Anfang vom Ende der Automobilität, wie wir sie bislang kennen“, schreibt er in seinem gerade erschienenen Buch „Volk ohne Wagen“ (Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main, August 2017). Seine These: Die unaufhaltsamen Megatrends der demografischen Entwicklung und der Urbanisierung, der Nachhaltigkeit und der Digitalisierung verändern die Anforderungen an die zukunftsfähige Gestaltung der Mobilität auf der ganzen Welt radikal. Der Pkw im Privatbesitz und der fossil angetriebene Verbrennungsmotor müssten in der Zukunft „als ineffizient, betriebs- und volkswirtschaftlich unrentabel, riskant und illusionär bezeichnet werden“.
Rammler entwickelt verschiedene Szenarien, wie der Entwicklungspfad aussehen könnte – und kommt doch zu einem ernüchternden Ergebnis: „Das wahrscheinliche Szenario ist Business as usual“, sagt Rammler im Gespräch mit Berlin Valley. „Es geht davon aus, dass die gegebenen politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen mehr oder weniger gleich bleiben, dass sich hierzulande keine Politik entwickelt, die die Rahmenbedingungen radikal verändert.“ Da man aber die global wirksamen Megatrends der Nachhaltigkeit, der Urbanisierung und der Digitalisierung nicht abstellen könne, werde das Resultat letztlich doch ein Muddling Through sein. „Im Augenblick läuft es noch gut, aber dieses Verhalten bringt die Autoindustrie ins Risiko“, meint Rammler. Es werde zwar eine weitere Automatisierung und Vernetzung geben, aber an dem Kernmodell des privaten Pkw-Besitzes werde festgehalten. „Es ist kein wünschenswertes Szenario, denn es trägt nicht zur Nachhaltigkeit bei.“
Automobilindustrie oder die Politik in der Kritik
Im Ergebnis hält Rammler das wahrscheinlichste Szenario zugleich für das schlechteste, weil er hierbei eine krisenhafte Entwicklung voraussieht: „Die deutsche Automobilindustrie wird von zwei Seiten in die Zange genommen: China beherrscht alsbald die Elektromobilität und der Akteur Silicon Valley beherrscht die Thematik der Automatisierung und der künstlichen Intelligenz. Beides beherrscht die deutsche Automobilindustrie in dem Maße nicht.“ In China werde alles viel schneller vorangehen, weil die Regierung die Entwicklung bewusst steuere. Und in Kalifornien drückten die Tech-Konzerne aufs Tempo. „In Europa werden wir es eher mit den krisenhaften Auswirkungen zu tun haben.“
Anders sieht es im visionären Szenario aus: Da wären Politik beziehungsweise Gesellschaft zu einer grundsätzlichen Umgestaltung bereit. „Dazu müsste die Politik den Mut haben, Kritik einzustecken und das Risiko eingehen, abgewählt zu werden.“ Es passe nicht zusammen, in Paris über Klimaziele zu verhandeln und Deutschland dort als große Umwelt-Nation zu präsentieren – und zu Hause nicht entsprechend zu handeln. „Der Mobilitätsbereich ist der, der am schnellsten wächst und die größten Zuwächse an CO2-Emissionen hat“, sagt Rammler. „Wir werden von der Abhängigkeit von den fossilen Energien in der Automobilität nicht loskommen, wenn wir nicht den Mut haben, etwas grundsätzlich anders zu machen und das Vorhandene in ordnungs- und fiskalpolitische Instrumentarien dazu nutzen.“
Die Autokäufer spart der Wissenschaftler bei seiner Kritik nicht aus: Auch die Verbraucher müssten ihre bigotte Grundhaltung ablegen. Sie hätten zwar Sorge wegen des Klimawandels und wollten mehr Sicherheit für ihre Kinder und saubere Städte. Aber sie seien nicht bereit, auf ihr PS-starkes Auto zu verzichten und ihr eigenes Verhalten zu ver.ndern. „Nur unter der Bedingung, dass Gesellschaft und Politik begreifen, dass die Risiken, die gerade entstehen – auch für die deutsche Automobilindustrie und ihre Arbeitsplätze – so oder so entstehen und dass der Schaden viel größer wird, wenn wir jetzt nicht beginnen zu handeln, werden wir eine nachhaltige und positive Entwicklung sehen.“
In der Elektromobilität sieht Rammler nur eine Variante möglicher zukünftiger Antriebstechnologien. Und sie löse auch nicht alle Probleme. Würden die bestehenden Autos mit Verbrennungsmotor einfach durch Elektroautos ersetzt, dann bliebe es bei den verstopften Straßen und immer mehr Platz in den Städten werde für den Autoverkehr reserviert. „Wir brauchen andere Nutzungsmodelle und eine effizientere Nutzung der Fahrzeuge“, sagt Rammler. „Das Leitbild muss die Multi- und die Intermodalität sein.“ Multi- und Intermodalität bedeutet: Verschiedene Verkehrsträger vom Fahrrad über den Scooter, das Auto, den Bus und die Bahn bis zum Flugzeug oder auch Hyperloop werden je nach Mobilitätsbedarf miteinander verknüpft.
Wolfgang Gruel, einer der Gründerväter von Moovel, ist nicht ganz so pessimistisch, was die deutsche Automobilindustrie betrifft. Er ist inzwischen Professor an der Hochschule der Medien in Stuttgart, hat auch schon am MIT zum Thema smarte Städte geforscht und ist weiterhin Berater bei Daimler Mobility Services. „Es gibt immer noch Leute in der Automobilindustrie, die glauben, man muss sich nur ein bisschen anpassen und dann läuft das schon“, sagt Gruel. „Aber ich sehe immer mehr Köpfe in den Unternehmen, die verstehen, dass sich die Branche fundamental verändert: Die Digitalisierung und neue Antriebstechniken verändern die Wertschöpfungsprozesse, neue Player aus anderen Industrien drängen in den Mobilitätsmarkt und Städte treten deutlich restriktiver auf, um ihre Mobilitätsprobleme zu lösen.“ Zu den Entwicklungsströmen, denen sich die Autohersteller stellen müssten, gehörten die Veränderung von Kundenpräferenzen, Veränderungen innerhalb der Automobilindustrie, etwa durch neue Technologien oder Prozesse, und Veränderungen der Rahmenbedingungen, die durch Städte und Länder vorgegeben werden. „Die Karten werden neu gemischt“, sagt er. „Letztlich weiß niemand, wer in diesem Spiel in der Zukunft welche Rolle spielen wird. Ist zum Beispiel ein Autohersteller nur noch ein Hardware-Provider oder wird er viele verschiedene Dienstleistungen anbieten? Oder ist ein Autohersteller nur noch ein Maintenance-Operator für Flottenbetreiber?“
„Sinnvoll könnte Autonomes Fahren in Verbindung mit dem öffentlichen Verkehr und Ridesharing
Angeboten sein. Hier kann man kurzfristig gute Effekte erzielen, die die Städte nachhaltig entlasten“
In einem Research Paper ist Gruel unter anderem der Frage nachgegangen, was passiert, wenn autonom fahrende Autos in der Zukunft auf unsere Straßen entlassen würden. Herauskamen wenig erfreuliche Aussichten. Demnach macht autonomes Fahren Mobilität zwar einfacher und attraktiver, aus der Vergangenheit wisse man aber, dass dies dazu führe, dass mehr gefahren wird. „Wir hätten also die gleichen Staus wie heute, bei höherem Verkehrsvolumen und höherem Energieverbrauch.“
Lösungsanbieter für Mobilitätsprobleme
Hinzu käme eine stärkere Zersiedelung der Landschaft, was wiederum den Betrieb und die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs unattraktiver mache, weil der wirtschaftliche Betrieb eine bestimmte Nachfragedichte voraussetzt. Wie kann man es besser machen? „Es gibt eine Menge Hebel, die man bewegen kann“, sagt Gruel. „Zum einen spielt die Siedlungsstruktur eine große Rolle, denn sie legt den Grundstein für Mobilitätsbedarf. Zum anderen stellt sich die Frage. In welchen Verkehrsmitteln und zu welchem Zweck wollen wir autonomes Fahren einsetzen? Sinnvoll könnte es in Verbindung mit dem öffentlichen Verkehr und Ridesharing-Angeboten sein. Hier kann man kurzfristig gute Effekte erzielen, die die Städte nachhaltig entlasten.“ Anders gesagt: moderne Technologien wie das autonome Fahren in alten Strukturen eingesetzt, bringen nicht automatisch gute Lösungen. Die Lösung liegt vielmehr in der Intermodalität, im intelligenten Zusammenspiel verschiedener Mobilitätsangebote – und auch in einer intelligenteren Siedlungsplanung.
Aber welche Auswirkung hätte intermodal organisierter Verkehr für die Automobilindustrie? Nach Ansicht von Gruel brauchen wir dafür neue Fahrzeugkonzepte und Lösungen für nahtlose Schnittstellen, also die Punkte, an denen von einem Fahrzeug auf ein anderes gewechselt wird. „Es wird in jedem Fall starke Veränderung geben: andere Fahrzeugtypen eingebunden in anderen Nutzungskonzepten. Der Besitz von Fahrzeugen wird in vielen Fällen weniger wichtig sein als der Zugriff auf Fahrzeuge. Und das kann ganz neue Geschäftsmodelle für die Hersteller bedeuten.“
Die Hersteller müssen sich also auf die geänderten Nutzungskonzepte einstellen. „Einige sind schon auf einem guten Weg“, sagt Gruel. Sie haben verstanden, dass es ihre Aufgabe ist, Mobilitätsprobleme zu läsen und weniger Mobilitätsprobleme zu schaffen. Die Zukunft liegt darin, Lösungsanbieter für Mobilitätsprobleme zu werden.“
„Die Autoindustrie muss agiler werden um wettbewerbsfähig zu bleiben“, meint Rainer Scholz, Leiter GSA Mobility Innovation Group beim Beratungsunternehmen EY. „Wir glauben, dass sich das gesamte Ökosystem der Industrie verändern wird – von der Fertigung über den Handel bis zu den Kundenbeziehungen.“ Auch erwartet er, dass Player wie Städte, Energiekonzerne und Serviceanbieter in dem Ökosystem eine größere Rolle spielen werden.
Die Frage ist, ob die Automobilkonzerne in Zukunft nur Hardware-Lieferant sein wollen, oder neue Partnerschaften eingehen und ihre Geschäftsmodelle umstellen. „Der Kern des Wertschöpfungsprozesses wird sich verschieben. Die Marge wird nicht mehr mit dem Biegen von Blech gemacht, sondern mit dem Verkauf von Software und Dienstleistungen“, sagt Scholz. Für die traditionellen Hersteller bestehe die Gefahr, dass sie den Kontakt zum Kunden verlieren. „Erfolgreich werden insbesondere diejenigen sein, die die Bedarfe sehen und Dienstleistungen anbieten oder makeln, die begeistern“. Bei der Fahrzeugelektronik seien die deutschen Hersteller heute weltweit führend. 160 bis 180 elektronische Steuergeräte hat ein modernes Automobil aus deutscher Produktion, eine komplexe Leitungsstruktur und eigene Prozessoren. „Alles robust und teuer“, sagt Scholz, „aber nur begrenzt Update-fähig.“ Und das ist das Problem: Bei der Software liegen die deutschen Hersteller weit hinten dran.Tesla etwa kann aktuelle Software für seine Autos über die Luft nachladen. Natürlich wirft dies Sicherheitsfragen auf, die gelöst werden müssen.
„Funktionsupdates werden ein entscheidendes Thema sein. Damit wird in Zukunft das Geld verdient“
„Aber es ist ein Unterschied, ob sie den Airbag über die Luftschnittstelle updaten oder das Entertainmentsystem“, meint Scholz. Hierzulande werde die Autoelektronik von Ingenieuren entwickelt – und nicht von Softwareentwicklern. „Das ist ein fundamentaler Unterschied“, sagt er. „Funktionsupdates werden ein entscheidendes Thema sein. Damit wird in Zukunft das Geld verdient.“ Abwarten und erst mal zuschauen, so wie es die Autoindustrie etwa in Sachen Elektromobilität macht, hält Scholz für eine riskante Strategie: „Die Elektromobilität ist kein technologisches Thema, sondern ein Markteinführungsthema.“ Dafür hätten die Hersteller einfach keine Strategie entwickelt. Der erste E-Golf sei einfach nur ein Golf gewesen, kostete aber 20.000 Euro mehr. Das hätten die Kunden nicht verstanden.
Dabei habe die Industrie genügend Innovationen, sie müsste nur bereit sein, die Ressourcen auf diese neuen Bereiche umzuleiten. „Man könnte zum Beispiel sagen: Wir bauen Mobilität auf Wasserstoff auf“, sagt Scholz. „Das könnte man auch politisch regeln.“ Die Technologie für die Brennstoffzelle sei vorhanden und hätte überdies den Vorteil, dass ein Teil des überschüssigen Stroms aus regenerativen Energien in grünen Wasserstoff umgewandelt werden könnte. „Eine wunderbare Möglichkeit für die deutsche Industrie, Akzente zu setzen. Demnächst stellt sich aber die Frage, ob es nicht zu spät ist, wenn die Elektromobilität sich weltweit durchgesetzt hat.“ Technologisch sei es die bessere Wahl, nur sei es eben „nicht so en vogue“. Offenbar brauchen wir wieder eine Bertha Benz, die der Industrie mutig voranfährt.