Im Interview:

Lieferheld CEO David Rodriguez

31/07/2015
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David, Ihr habt gerade mit Urban Taste eine dritte Marke von Lieferheld auf dem deutschen Markt gestartet. Was bringt der neue Service?

DAVID RODRIGUEZ: So neu ist er nicht. Lieferheld hat zweieinhalb Jahre Erfahrungen mit Restaurants gesammelt, die nicht selber liefern. Jetzt fühlen wir uns reif, um sehr professionell in diesen Markt einzusteigen mit einer separaten Plattform und einem eigenen Team. Wir füllen damit eine Marktlücke. Wenn man sich auf einer Skala von null bis zehn die Qualität des Essens anschaut, wobei zehn Spitzengastronomie ist, dann deckt Pizza.de den Bereich von eins bis vier ab, Lieferheld zwei bis fünf und Urban Taste sechs bis acht. Das sind Restaurants, die sehr gutes Essen machen, aber keinen Lieferservice anbieten. Das übernehmen wir jetzt: Wir organisieren die Logistik, koordinieren die Fahrer und die Restaurants können sich aufs Essen konzentrieren.

Das heißt, Ihr steigt jetzt selbst in die Lieferung ein?

DAVID RODRIGUEZ: Ja. Auch bei den bestehenden Restaurants gibt’s ja manchmal Engpässe – mittags um zwölf oder abends um 18 Uhr, wenn die Leute Hunger haben. Bei Bedarf können diese Restaurants jetzt bei uns einen zusätzlichen Fahrer bestellen.

Das wäre dann die Synergie mit dem bestehenden Geschäft?

DAVID RODRIGUEZ: Genau.

Du hast gesagt, dass Ihr damit in einen ganz neuen Markt vorstoßt. Bloomsburys, Deliveroo oder Foodora machen das aber bereits.

DAVID RODRIGUEZ: Es gibt tatsächlich Anbieter wie Bloomsburys, die das schon länger machen. Aber es ist ein eher teures Produkt, die Lieferung kostet sechs oder sieben Euro. Das macht kein Restaurant mit. Insofern bieten wir etwas Neues an, weil unser Preis wettbewerbsfähig ist. Wir reden hier von vier Euro pro Lieferung, das können sich auch kleine Restaurants leisten.

Wenn Ihr selbst liefert, steigen die Komplexität und die Kosten. Lohnt sich das, wenn Ihr im niedrigen Preisbereich bleiben wollt?

DAVID RODRIGUEZ: Das ist die Herausforderung. Es lohnt sich auf alle Fälle, wenn man das gut macht. Vorsichtig ausgedrückt sind die Fahrer bei den Lieferdiensten nicht unbedingt immer die schnellsten und zuverlässigsten. Es gibt viele Möglichkeiten, die Lieferung besser zu machen, als es heute der Fall ist. Und wir können ja auch einen Fahrer für zwei Restaurants nutzen, dann gibt es zum Beispiel weniger Leerfahrten.

Versucht Ihr so, die Restaurants exklusiv an Euch zu binden?

DAVID RODRIGUEZ: Nein, wir machen das nicht, um die Restaurants an uns zu binden. Das kann eine Folge sein. Aber das Ziel ist es, eine Marktnische zu bedienen. Wir nutzen die Investitionen der Restaurants in die Küche und das Personal und so weiter, und wir sorgen dafür, dass diese besser ausgelastet werden. Das ist eine Win-Win-Win-Situation für alle Seiten, weil wir in ein Segment eindringen, das heute gar nicht bedient wird. Da ist noch ein riesiges Potenzial – fünfmal mehr Potenzial als beim herkömmlichen Lieferdienst.

Inwiefern?

DAVID RODRIGUEZ: Es gibt 100.000 Restaurants in Deutschland, aber nur rund 20.000 Lieferdienste. Das Volumen, von dem wir reden, ist viel größer als das der Lieferdienste, die für sich allein schon riesiges Potenzial haben.

Der nächste logische Schritt wäre dann eigene Restaurants?

DAVID RODRIGUEZ: Ja. Es ist auf alle Fälle denkbar, dass wir selbst Restaurants machen. Wir wollen diese Industrie revolutionieren. Aber im Moment steht das nicht im Fokus.

Wer sind Eure Konkurrenten: eher Orderbird, Bookatable oder McDonald‘s?

DAVID RODRIGUEZ: Unser größter Wettbewerber ist das Telefon, also die Leute, die sich heute noch die Mühe machen, telefonisch vietnamesisches Essen zu bestellen. Denen wollen wir es einfacher machen.

Die Kommentare im Netz zu Urban Taste waren recht einhellig: Wenn ich schon Geld für ein gutes Essen ausgebe, dann will ich das eigentlich auch lieber im Restaurant genießen …

DAVID RODRIGUEZ: Wir wissen ja nicht, ob es funktioniert. Ich denke, es wird eine Zeit dauern, bis die Leute verstehen, dass sie sich gutes Essen auch nach Hause liefern lassen können.

Wie viel Zeit gebt Ihr Euch dafür?

DAVID RODRIGUEZ: Wir haben einen Business Case und wir haben unsere Annahmen.

Die würden uns interessieren …

DAVID RODRIGUEZ: Wir geben grundsätzlich keine Zahlen raus.

Mit wem messt Ihr Euch?

DAVID RODRIGUEZ: Wir schauen weniger, was links und rechts passiert. Wir wollen die sein, die neue Ideen bringen. In ein paar Jahren wollen wir die beste Food Delivery Company der Welt sein. Mein Anspruch ist es, in Deutschland die beste App zu haben: die Küche in der Hosentasche. Für mich ist es viel wichtiger zu hören, was der Kunde will, als zu wissen, was die Konkurrenten machen.

Woher wisst Ihr, was die Kunden wollen?

DAVID RODRIGUEZ: Wir fragen sie und machen regelmäßig Nutzer-Tests. Wenn man sich das Rating unserer Apps anschaut, haben wir bei Pizza.de 4,5 von fünf Sternen und bei Lieferheld 4,4. Die Kunden geben uns sehr gute Noten, aber das reicht uns noch nicht. Wir wollen die beste App der Welt. Daran arbeiten wir, und es kommt bald eine neue Version, die in diese Richtung geht.

Für den Kunden ist es vor allem interessant zu wissen, wie lange die Lieferung dauert.

DAVID RODRIGUEZ: Ja, ein sehr guter Punkt. Wir haben die Information ja. Der Kunde will wissen, wie lange es dauert, bevor er bestellt, nicht im Nachhinein. Wir arbeiten daran.

Denkt Ihr auch darüber nach, für die Restaurants noch andere Leistungen zu übernehmen, wie die Buchhaltung oder das Kassensystem?

DAVID RODRIGUEZ: Kassensysteme bieten wir bereits an. Mit denen können die Restaurants die Bestellungen verfolgen. Aber wenn man das weiterspinnt, dann gibt es noch viele Möglichkeiten: Wir wissen, wie viele Pizzas jedes Restaurant verkauft, wir wissen, wie viele Tomaten und wie viel Mehl verbraucht werden, und können dem Restaurant Bescheid sagen, bevor das Mehl und die Tomaten ausgehen. Aber das ist noch Zukunftsmusik.

Wie wollt Ihr weiter wachsen? Bei den Lieferdiensten habt Ihr ja wahrscheinlich bald eine Sättigung erreicht.

DAVID RODRIGUEZ: Es ist aber nicht entscheidend, dass wir alle 20.000 Lieferdienste auf unserem Portal haben. Wir wollen die richtigen haben. Wir achten auf die Qualität. Wenn Restaurants weniger als zwei Sterne haben, beraten wir sie, wie sie die Qualität verbessern können. Wer die Kriterien nicht erfüllt, der fliegt raus. Wir werfen 60 bis 100 Restaurants jeden Monat raus. Hauptsache, die Kunden sind zufrieden und kommen wieder. Davon lebt unser Geschäft. Für die besten Restaurants haben wir den Lieferheld Award eingeführt.

Was ist Eure wichtigste Wachstumskennziffer?

DAVID RODRIGUEZ: Die Anzahl der Bestellungen. Ein Restaurant zahlt dafür, dass es bei uns gelistet ist und wir ihm Kunden vermitteln. 80 Prozent unserer Provision investieren wir wieder für das Marketing. TV-Werbung zum Beispiel könnte sich kein Restaurant leisten.

Wie viele Bestellungen habt Ihr im Monat?

DAVID RODRIGUEZ: Wir geben keine Zahlen für einzelne Länder heraus, aber es sind im Monat mehrere Millionen Essensbestellungen. In der ganzen Gruppe sind es weltweit mehr als zehn Millionen Orders im Monat.

Wie hoch ist der Bestellwert im Durchschnitt?

DAVID RODRIGUEZ: In Deutschland sind es etwas weniger als 20 Euro.

Welche Marketingkanäle nutzt Ihr?

DAVID RODRIGUEZ: Wir nutzen viele Kanäle, das geht vom TV über Displays, Brand, Non-Brand und so weiter. Wir verfolgen das jeden Tag. Wir wissen ganz genau, wo wir wie viel ausgeben, und wir optimieren in allen Kanälen. Natürlich macht TV einen großen Teil aus, weil die Reichweite sehr groß ist.

Könnt Ihr sagen, welche Kanäle für Euch am besten funktionieren, oder ist das saisonabhängig?

DAVID RODRIGUEZ: Wir schauen uns bei jedem Kanal an, welche Kunden wir darüber erreichen, und prognostizieren den Wert der Bestellungen für die nächsten fünf Jahre. Und wenn wir für einen Neukunden bei einem Kanal zehn Euro investieren müssen, der Lifetime-Wert aber bei 15 Euro liegt, dann pushen wir diesen Kanal.

Habt Ihr für solche Betrachtungen schon ausreichend Basiswerte?

DAVID RODRIGUEZ: Natürlich. Die ganze Firma ist zahlengetrieben. Wir haben über 30 Tech-Reports für Sales, für Customer Care, für Marketing und so weiter. Wir entscheiden nicht nach Bauchgefühl.

Was wisst Ihr über Eure Kunden? Du hast mal gesagt, der durchschnittliche Kunde ist 37 Jahre alt …

DAVID RODRIGUEZ: Wir betreiben eine sehr ausführliche Marktforschung. Der Pizza.de-Kunde ist down-to-earth, sehr bodenständig. Er guckt schon sehr aufs Portemonnaie, er sucht Deals und liebt Pizza über alles. Bei Lieferheld ist die Zielgruppe eine andere. Es gibt natürlich Überschneidungen, aber Lieferheld-Kunden achten mehr auf Auswahl und wollen auch mal etwas ausprobieren. Heute Sushi und morgen Thailändisch oder Mexikanisch.

Wie viele Leute haben denn sowohl die App von Lieferheld als auch die von Lieferando auf ihrem Smartphone?

DAVID RODRIGUEZ: Das ist eine gute Frage, das würde ich auch gerne wissen. Wir wissen, dass die Pizza.de-Kunden sehr loyal sind, bei Lieferheld und Lieferando ist die Bereitschaft, mal zu wechseln, eher höher.

Ihr benutzt weiter die zwei Marken Pizza.de und Lieferheld, aber beides läuft über die gleiche technische Plattform?

DAVID RODRIGUEZ: Noch nicht, aber wir arbeiten daran. Noch nutzen wir beide Plattformen.

Welche Plattform ist besser?

DAVID RODRIGUEZ: Das ist sehr schwer allgemein zu beantworten. Bei Pizza.de ist die Technik sehr zuverlässig und die Fehlerquote minimal. Aber wenn man schaut, wie flexibel eine Plattform angepasst und neue Features integriert werden können, dann ist Lieferheld deutlich besser. Im Moment bauen wir eine globale Plattform, die alles auf den neuesten Stand bringt und die wir als Grundlage für alle Länder nehmen können.

Ist Deutschland Euer Kernmarkt?

DAVID RODRIGUEZ: Deutschland gehört auf jeden Fall zu unseren Kernmärkten. Allein dadurch, dass unser Unternehmenssitz in Berlin ist, hat der deutsche Markt immer eine besondere Bedeutung für uns. Hier sind auch die meisten Techniker, und deshalb haben wir das Projekt hier gestartet. Das Frontend für Pizza.de ist schon fertig und auch für Lieferheld. An dem Backend arbeiten wir noch. Ich denke, dass wir im Oktober soweit sein werden.

Und was können wir davon erwarten?

DAVID RODRIGUEZ: Es ist einfach eine viel stabilere Plattform, die zugleich viel flexibler ist. Wir können leichter etwas ändern, ohne zehn neue Baustellen aufzumachen.

Was ändert sich für den Kunden?

DAVID RODRIGUEZ: Die Innovationsgeschwindigkeit wird enorm steigen. Wir werden alle zwei Wochen neue Features platzieren können.

Wie läuft das Geschäft im Moment?

DAVID RODRIGUEZ: Unterschiedlich von Plattform zu Plattform. Bei Lieferheld sind wir sehr zufrieden und liegen deutlich über der Benchmark. Der Markt wächst online wie offline. Mit offline meine ich Bestellungen über das Telefon. Da dürfte das Wachstum bei drei oder vier Prozent liegen. Online sind es 20 Prozent Wachstum.

Und Euer Wachstum liegt darüber?

DAVID RODRIGUEZ: Genau, wir wachsen schneller als der Online-Sektor. Im Januar haben wir bei Lieferheld im Vergleich zum Vorjahr mehr als 50 Prozent zugelegt. Bei Pizza.de waren wir noch nicht da, wo wir sein wollen. Aber wir nähern uns.

Wie viele Leute habt Ihr jetzt in Berlin?

DAVID RODRIGUEZ: Bei Delivery Hero sind es insgesamt fast 600. Davon sind weniger als 200 bei Lieferheld.

Was hat sich geändert, seit Rocket Internet bei Euch eingestiegen ist?

DAVID RODRIGUEZ: Mit Rocket Internet zu arbeiten, ist sehr spannend. Die haben Experten an vielen Fronten. Beim Suchmaschinenmarketing etwa ist Rocket ganz vorn, und wir sind sehr froh, dass wir uns mit ihnen austauschen können. Bezüglich Food-Deliveries gibt es vieles, was die von uns lernen können. Das ist ein Geben und Nehmen, beide Seiten profitieren voneinander. Aber wir machen unser Ding. Wir bestimmen, wo es lang geht. Wir sind keine Rocket-Firma, wir haben eine eigene Kultur. Für uns ist es sehr wichtig, dass unsere Mitarbeiter sehr zufrieden sind. Wir haben ein nachhaltiges Konzept, das auf Jahre ausgelegt ist, und wir wollen die besten Leute rekrutieren.

Rocket mischt sich nicht ein?

DAVID RODRIGUEZ: Wir sind unabhängig. Rocket kann eine Meinung äußern, kann Empfehlungen aussprechen, und wir entscheiden.

Bringt Rocket das Wissen aus Eurem Unternehmen in Rocket-Firmen ein, die Euch Konkurrenz machen?

DAVID RODRIGUEZ: Das müsst Ihr Rocket fragen.

Merkt Ihr, dass sie das tun?

DAVID RODRIGUEZ: Wir sind in unserem Bereich deutlich vorn. Wir haben eine andere Spezialisierung, und von daher gibt’s zwischen Delivery Hero und Foodpanda keinen enormen Austausch.

Wie unabhängig kannst Du Lieferheld im Netzwerk von Delivery Hero führen?

DAVID RODRIGUEZ: 100 Prozent unabhängig.

Und ist das Deutschland-Geschäft profitabel?

DAVID RODRIGUEZ: Ja.

Ist das ein Geschäft, bei dem gilt, „the winner takes it all“, oder können auf dem Markt mehrere Anbieter nebeneinander existieren?

DAVID RODRIGUEZ: Der Markt ist riesig, wir decken vielleicht, wenn es hoch kommt, 15 Prozent des Marktes ab. Also da gibt es Platz für zwei, drei Anbieter. Ein Restaurant will womöglich nicht mit mehr als zwei Lieferdiensten zu tun haben, das begrenzt den Markt vielleicht ein bisschen.

Die Restaurants müssen nicht exklusiv mit Euch zusammenarbeiten?

DAVID RODRIGUEZ: Nein, wir zwingen niemanden. Wir wollen mit unserem Produkt und der Qualität überzeugen. Exklusivität ist für uns tabu.

Was habt Ihr Euch für 2015 vorgenommen?

DAVID RODRIGUEZ: Wir wollen die beste App am Markt entwickeln.

Du sprichst die ganze Zeit von der App. Ist Mobile wichtiger geworden als die Bestellung auf dem PC?

DAVID RODRIGUEZ: Unwichtig ist der PC nicht geworden. Auch da wollen wir natürlich einen guten Service anbieten. Aber der Anteil der Bestellungen über die App liegt bereits deutlich über 50 Prozent und wächst weiter. Da wollen wir ganz vorne mitspielen.

Ihr seid eine Story, die Rocket erfolgreich an der Börse platzieren könnte. Übt Rocket in dieser Richtung Druck aus?

DAVID RODRIGUEZ: Die Druckmöglichkeiten von Rocket sind begrenzt, würde ich sagen. Aber klar, wir haben ein beiderseitiges Interesse daran, Lieferheld erfolgreich zu machen.

Das Gespräch führten Jan Thomas und Corinna Visser.

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