„Der Landwirt will einfache Lösungen“
Benedikt, ihr habt eine Landwirtschaft in Alt Madlitz östlich von Berlin. Was baut ihr dort an?
Benedikt Bösel: Wir sind ein ökologischer Marktfruchtbetrieb, daher haben wir eine durch die ökologische Bewirtschaftung definierte Fruchtfolge. Wir bauen Klassiker an wie Roggen, Weizen, Tritikale und Gerste, aber auch Dinkel, Emmer und Hafer. Daneben sind Luzerne und Lupine wichtig, um den Boden mit Nährstoffen zu versorgen. Zum Betrieb gehören auch eine Forstwirtschaft, eine Brotmanufaktur sowie der älteste englische Landschaftspark Brandenburgs mit einem Bed & Breakfast und verschiedensten Veranstaltungsräumen. Der Betrieb ist ein alter Familienbetrieb meines Großvaters, der 1945 geflüchtet ist. Nach der Wende ist meine Familie zurückgekehrt und baut den Besitz seit dem Stück für Stück wieder auf.
Du wolltest aber ursprünglich nicht Landwirt werden …
Benedikt Bösel: Ich habe zuerst Wirtschaftsmathematik studiert und viele Jahre in der Beratung, im Investmentbanking und Venture Capital gearbeitet. Geprägt durch meine Kindheit auf dem Lande hat sich bei mir sehr früh ein Gespür für die Probleme der Landwirtschaft eingestellt. Diese Prägung in Verbindung mit meinen beruflichen Erfahrungen haben bei mir zu der Erkenntnis geführt, dass technologische Entwicklungen weiterhelfen können. Deshalb stellen wir Versuchsflächen für Startups zur Verfügung und beschäftigen uns mit einen Venture-Capital-Fonds für Agrarthemen.
„Technologie wartet nicht, wer jetzt nicht mutig ins Risiko geht und investiert, läuft Gefahr, international den Anschluss zu verlieren“
Wie sind deine Erfahrungen beim Geld einsammeln?
Benedikt Bösel: In den USA ist Agtech seit Jahren ein großes Thema und dort wird sehr viel Geld investiert. In Deutschland spürt man eine große Zurückhaltung auch bei einigen großen Spielern auf dem Agrarmarkt. Die finden das alle spannend, agieren aber nach dem Prinzip „wait and see“. Nur: Technologie wartet nicht, wer jetzt nicht mutig ins Risiko geht und investiert, läuft Gefahr, international den Anschluss zu verlieren.
Wie hast du das Thema Agrar-Startups entdeckt?
Benedikt Bösel: Durch die Konvergenz des technischen Fortschritts in den Bereichen der Chemie, Biologie, Nanotechnologie und natürlich der IT ergeben sich unendlich viele neue Möglichkeiten für die Herstellung und Verarbeitung von Lebens- und Futtermitteln. Themen wie Ernährungssicherheit, Wasserverfügbarkeit, Müllaufkommen sowie Abhängigkeit von Öl werden immer wichtiger. Die Anwendung technologischer Innovation wird Teil der Lösung sein müssen.
Wie verträgt sich das mit Ökologie?
Benedikt Bösel: Blendend, wenn wir unter Nachhaltigkeit den verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen verstehen. Letztendlich entscheidet der Verbraucher, wie viel Tierwohl oder umweltschonende Methoden bei der Herstellung seiner Lebensmittel er bereit ist zu bezahlen. Er muss viel stärker verinnerlichen, welche Konsequenzen seine Kaufentscheidung hat. In dem Maße, wie dieses Bewusstsein geschaffen wird, ist es dann nur ein kleiner Schritt zu einer Akzeptanz von Agtech.
Was sind die besonderen Herausforderungen bei Agtech?
Benedikt Bösel: Zum einen sind Landwirte vom Umfeld, sprich vom Wetter, abhängig. Im Produktionsprozess gibt es also eine Komponente, die du nicht steuern und auch nicht wirklich vorhersagen kannst. Zum anderen sind die Verhältnisse vor Ort eines jeden Landwirts sehr unterschiedlich. Es gibt also selten die eine Lösung, die für alle passt. Diese Faktoren machen es für Startups sowie für Investoren in diesem Bereich recht anspruchsvoll. Ein Landwirt ist Tag ein Tag aus mit den Konsequenzen seiner Entscheidungen konfrontiert, daher überlegt er in besonderem Maße, was er macht oder sein lässt.
Mit einem Minimal Viable Product darf ich also nicht ankommen?
Benedikt Bösel: Nein, der Landwirt braucht ein Produkt, das absolut zuverlässig ist. Er kann sich keine Fehler leisten. Er hat auch keine Zeit, sich vorab großartig einzuarbeiten, er will einfache Lösungen. Als Startup musst du etwas anbieten, von dem der Landwirt schnell überzeugt ist, also einen sofortigen Nutzen hat. Voraussetzung dafür ist ein umfassendes Verständnis landwirtschaftlicher Produktionszusammenhänge.
„Leider wird in der Gesellschaft das Thema Innovation im Agrarbereich eher als Drohung denn als wirtschaftlicher Fortschritt verstanden“
Aber es gibt Landwirte, die mit Startups zusammenarbeiten?
Benedikt Bösel: Absolut, gerade in Deutschland agieren viele Landwirte sehr zukunftsorientiert. Da sind sie oft weiter als die Politik oder die großen Verbände. Leider wird auch in der Gesellschaft das Thema Innovation im Agrarbereich eher als Drohung denn als gesamtwirtschaftlicher Fortschritt verstanden. Auch deswegen stellen wir Startups Versuchsflächen zu Verfügung oder beteiligen uns an Forschungsprojekten. Mit 365Farmnet und Mofato erarbeiten wir beispielsweise Lösungen für die ökologische Landwirtschaft.
Wie groß ist die Szene in Deutschland?
Benedikt Bösel: Das kommt erstmal auf die Definition von Agtech an. Da gibt es so viele Themen: Tiergesundheit, Analytik, Präzisionslandwirtschaft, Nahrungsmittelsicherheit, Robotik und Drohnen, innovative Verpackungen, alternative Proteine aber eben auch antiquierte Handelsketten, Wasseraufbereitung, Müllvermeidung und vieles mehr. Daher ist es schwer eine Zahl festzulegen. Wichtig ist: Es gibt unheimlich viele sehr fähige Teams, die bereits gegründet haben oder solche, die an diversen Hochschulen und Forschungseinrichtungen an diesen Themen arbeiten. Neben den passenden Rahmenbedingungen ist ausreichend Kapital notwendig, um erfolgreich zu sein. Sollten wir diese Voraussetzungen nicht schaffen, droht eine Abwanderung der fähigsten Köpfe ins Ausland!
Was sind die spannendsten Trends in deinen Augen?
Benedikt Bösel: Spannend sind sie grundsätzlich erstmal alle. Vergiss nicht, dass viele der Startups auch scheitern werden. Dennoch, die Themen Tierwohl, alternative Proteine und Präzisionslandwirtschaft sind gerade für mich als Landwirt spannend. Denn sie haben das Potenzial, dem öffentlichen Diskurs zwischen Landwirtschaft und der Gesellschaft neue Reize zu geben. Natürlich haben wir in der Landwirtschaft auch Fehler gemacht. Aber: Wir arbeiten daran. Gleichermaßen müssen auch die Verbraucher wieder näher an die Natur rücken. Ein gutes, qualitativ hochwertiges Erzeugnis, sei es tierisch oder pflanzlich, hat seinen Preis.
Und was bedeutet das für Investoren?
Benedikt Bösel: Das kommt erst mal auf die Art des Investors an. Ein Stratege kann einen sehr anderen Fokus haben als ein reiner Finanzinvestor. Aus Sicht eines Venture-Capital-Investors machen mir die Entwicklungen in der Bioökonomie derzeit am meisten Freude, hier sind wir erst am Anfang. Verpackungen von Nahrungsmitteln werden zukünftig weit mehr sein, als eine reine „Aufbewahrung“, sie werden mit den Kunden kommunizieren: Denk zum Beispiel an Lebensmittelsicherheit, -herkunft, Rückverfolgbarkeit und Inhaltsstoffe.
Das Gespräch führte Corinna Visser.
BENEDIKT BÖSEL
Nach einer Kindheit auf dem Land und zehn Jahren in der Finanzbranche vereint Benedikt heute das beste aus beiden Welten: Auf seinem Betrieb in Ostbrandenburg unterstützt er aktiv innovative Agrar-Startups sowie Forschungsprojekte. Als Vorsitzender der Fachgruppe Agtech im Bundesverband Deutsche Startups berät er Ministerien, Verbände und Konzerne.