Der Fernbusmarkt in Deutschland war gerade frisch liberalisiert. Und natürlich wollten Kunden jetzt Bustickets online vergleichen, so wie sie das bei Flugtickets auch tun. Angebot und Nachfrage auf einer Mobilitätsplattform zu matchen – das war die Vision von Julian Hauck und Johannes Thunert, den Mitgründern von Fahrtenfuchs. Sie hatten bereits einen Algorithmus, bauten einen Prototyp und konnten Investoren von der Idee überzeugen. Im Dezember 2014 sammelte das Startup in einer Seed-Runde eine siebenstellige Summe ein.
Doch dann entwickelte sich das Geschäft nicht wie erwartet. Auch die geplante Einbindung des öffentlichen Nahverkehrs stellte sich als technisch aufwendig und ökonomisch unattraktiv heraus. „Wir haben uns entschieden, weiter in die Tiefe zu gehen und die Busse nicht nur vergleichbar, sondern die Tickets auch buchbar zu machen“, erzählt Johannes Thunert. Die Integration des Nahverkehrs wollten sie stoppen, doch die Investoren waren anderer Meinung. Sie wollten die Neuausrichtung unter dem Namen Distribusion nicht finanzieren. Von den zwölf Mitarbeitern mussten alle bis auf zwei gehen. Distribusion stand vor dem Aus.
Ein Pivot kommt in den besten Startups vor
Nur fünf Prozent der Businesspläne werden so umgesetzt, wie sie geschrieben werden, sagt Nils Högsdal, Professor für Corporate Finance und Entrepreneurship an der Hochschule der Medien in Stuttgart. „Das bedeutet aber nicht, dass 95 Prozent der Startups scheitern. Sie machen nur zum Teil etwas anderes.“ Ein Kurswechsel oder auch Pivot ist also keinesfalls die Ausnahme, sondern kommt in den besten Unternehmen vor. Mehr noch: „Ein erfolgreiches Startup macht im Schnitt drei Pivots“, sagt Högsdal. Das Startup Genome Project stellte in einem Report vor ein paar Jahren fest, dass Startups, die einen oder zwei Pivots machen, mehr Kapital einsammeln (2,5-mal mehr), ein höheres Nutzerwachstum haben (3,6-fach) und mit einer höheren Wahrscheinlichkeit (52 Prozent) früher skalieren als Startups, die mehr als zwei Pivots oder gar keinen machen. „Ein Pivot bedeutet, dass mindestens ein Aspekt des ursprünglichen Geschäftsmodells geändert wird“, erläutert Högsdal.
Ein Kurswechsel oder auch Pivot ist also keinesfalls die Ausnahme, sondern kommt in den besten Unternehmen vor.
„Es bedeutet nicht, dass man alles über den Haufen wirft.“ Dafür wählt er das Bild eines Kletterers in der Steilwand, der nur an einer Stelle loslassen kann, um sich neuen Halt zu suchen. „Man sollte maximal ein oder zwei Aspekte ändern“, rät Högsdal, „sonst weiß man nicht mehr, was erfolgreich war.“ Eine typische Anpassung sei etwa die Umstellung des Modells von einer Lösung für Endkunden auf ein Business-to-Business-Modell oder die Umstellung einer App von Werbefinanzierung auf ein Abomodell. Wichtig sei aber, um im Bild des Kletterers zu bleiben, dass man immer noch den gleichen Gipfel anpeilt, also die gleiche Vision verfolgt.
Es geht um eine strukturierte Kurskorrektur
Eric Ries, der Begründer der Lean-Startup-Methode, definiert den Pivot in seinem Buch „Lean Startup“ als eine „strukturierte Kurskorrektur“. Es geht also um eine geplante Anpassung. „Der Pivot darf keine Ausrede für Gründer sein, die keinen Plan haben“, sagt Högsdal. Daher sei es wichtig, die einzelnen Schritte des Pivots zu validieren. „Jeder Pivot beruht auf einer Annahme, die überprüft werden muss.“ Und anders als bei der klassischen Sichtweise geht es nicht darum, das neue Modell über Monate hin zu entwickeln, sondern in einem schnellen Iterationsprozess von Bauen, Messen, Lernen anzupassen. „Es ist besser, zehnmal klein zu scheitern mit einem überschaubaren Budget, als alles auf eine Karte zu setzen“, sagt Högsdal. Bei einem strukturierten Kurswechsel geht es darum, Daten zu sammeln und daraus Rückschlüsse zu ziehen. „Wer erfolgreich sein will, darf nicht stur auf seinem Kurs fahren, sondern muss sich nach dem Wind richten“, sagt Högsdal. „Wichtig ist es, sein Ziel vor Augen zu haben, aber man sollte nicht blind am Kurs festhalten.“ Das falle allerdings vor allem Alleingründern schwer.
Bei einem strukturierten Kurswechsel geht es darum, Daten zu sammeln und daraus Rückschlüsse zu ziehen.
Rechtzeitig mit dem Investor reden
Doch wie erklärt man seinen Investoren, die man ja von dem ursprünglichen Weg überzeugt hat, dass man nun einen anderen Kurs nimmt? „Erfahrene Business Angels wissen, dass sie kurzfristig über Anpassungen informiert werden“, meint Högsdal. „Wenn die Vision die gleiche bleibt, dann werden sich die Investoren darauf einlassen“, sagt Uwe Horstmann, Mitgründer des Frühphaseninvestors Project A Ventures. Es gehe ja nicht darum, etwas wild auszuprobieren. „In einer idealen Welt macht man den Pivot frühzeitig, wenn noch Geld auf dem Konto ist.“ Ob man die Investoren überzeugen könne dabeizubleiben, sei eine Kommunikationsfrage. Daher sei es wichtig, die Investoren frühzeitig mit einzubinden. „Das unterscheidet gute von schlechten Unternehmern, auch in dieser Situation noch überzeugend zu sein.“ Trotzdem bleibe es eine Herausforderung. „Ich würde immer auf die Lernkurve abstellen“, rät Horstmann. „Dann ist das für den Investor leichter zu verdauen. Es ist gut, wenn man sagen kann, was man jetzt weiß und vorher eben nicht wusste.“
Seine Vorgehensweise beschreibt er so: „Wir stellen eine Investmenthypothese auf. Solange die nicht grundlegend widerlegt ist, glauben wir, dass es einen Weg dahin gibt. Und dass das Team in der Lage ist, diesen Weg zu finden.“ Auch seine Erfahrung sagt: Es klappt meistens nicht beim ersten Mal. Im schlimmsten Fall gelingt es den Gründern nicht, eine vertrauensvolle Beziehung zu den Investoren aufzubauen – und das Geld ist zu Ende. „Das ist die schwächste Position“, sagt Horstmann.
Im schlimmsten Fall gelingt es den Gründern nicht, eine vertrauensvolle Beziehung zu den Investoren aufzubauen – und das Geld ist zu Ende.
In genau so einer kritischen Situation befand sich Distribusion vor dem Pivot zum B2B-Anbieter einer innovativen Buchungstechnologie für Fernbusse im Sommer 2015. Zunächst floss eigenes Geld in das Unternehmen, dann konnten die Gründer neue Investoren für den neuen Kurs gewinnen. Es gelang ihnen eine Series-A-Finanzierung über sechs Millionen Euro von den internationalen Investoren Northzone, Creandum und HR Ventures einzuwerben. Inzwischen arbeitet Distribusion mit mehr als 150 Fernbusanbietern aus mehr als 25 Ländern zusammen. Die neueste Entwicklung: Distribusion kooperiert nun mit Amadeus, einem weltweit führenden Anbieter von IT-Lösungen für die Reisebranche mit einem Umsatz von knapp vier Milliarden Euro.