Herr zu Löwenstein, warum ist nicht Bio das Normale? Sollten nicht die konventionellen Lebensmittel als, für Mensch und Umwelt, potenziell schädlich gekennzeichnet werden?
Felix, Prinz zu Löwenstein: (lacht.) Diese Frage stellt sich wirklich. Es ist komisch, dass das, was wir brauchen, als Sonderfall gekennzeichnet werden muss. In der Tat ist das ja unser Antrieb: Wir haben mit Bio eine Ausnahme entwickelt, die der Normalfall werden muss. Denn das, was in der Landwirtschaft und in unserer Ernährung aktuell der Normalfall ist, ist nicht zukunftsfähig. Und funktioniert eigentlich heute schon nicht.
Warum nicht?
Felix, Prinz zu Löwenstein: Weil es in der Produktion die Produktionsgrundlagen beeinträchtigt bis zerstört. Unsere Landwirtschaft trägt erheblich zum Artenschwund und zum Klimawandel bei, beeinträchtigt Grundwasser und Oberflächenwässer – alles Ressourcen, die die Landwirtschaft braucht, um auf Dauer arbeiten zu können. Im Bereich der Ernährung ist die Explosion ernährungsbedingter Krankheiten mittlerweile nicht nur zu einem Problem des individuellen Leids geworden, sondern zu einem volkswirtschaftlichen, weil die Kosten so enorm hoch sind.
Woher kommt die verbreitete Ansicht, dass Landwirtschaft ohne Pestizide nicht funktioniert?
Felix, Prinz zu Löwenstein: Das liegt daran, dass wir Landwirte genauso ausgebildet worden sind. Wir glauben, dass wir ohne die Hilfe der Chemie nicht in dieser feindlichen Umwelt überleben können. Es ist ein großer Schritt, den man in der Umstellung zur ökologischen Landwirtschaft gehen muss, zu verstehen, dass man ein System durchaus so fahren kann, dass es in sich stabil ist und diese Krücken nicht braucht. Natürlich um den Preis, dass man nicht den maximalen Ertrag erzielen kann.
Ist das genau das Problem? Unser Streben nach dem maximalen Ertrag?
Felix, Prinz zu Löwenstein: Ja, das ist es wohl. Wie wenn Sie einen Hochleistungssportler zu einer ständigen Dauerleistung bringen wollen, zu der sein Körper nicht gemacht ist. Dann werden Sie am Ende diesen Organismus nur noch mit entsprechender Medikamentengabe am Laufen halten.
Welche Rolle spielt Technologie, um ökologische Landwirtschaft zu betreiben?
Felix, Prinz zu Löwenstein: Wir brauchen technologischen Fortschritt, um stabile Systeme zu schaffen. Doch die Monokultur, die heute der Normalfall ist, haben wir aus arbeitswirtschaftlichen Gründen entwickelt. Nur so konnten wir große Maschinen einsetzen. Die Monokultur ist aber ein instabiles, für Mensch und Umwelt schädliches System. Ein stabiles System, sei es in der Ökologie oder in der Ökonomie, ist vor allem durch Vielfalt gekennzeichnet. In der Landwirtschaft sind das Mischkulturen. Dafür setzt sich der ökologische Landbau ein. Technologie kann dabei durchaus eine Rolle spielen, indem Mischkulturen durch intelligente Maschinen gemanagt werden.
Wie ist in diesem Kontext Urban Farming zu sehen?
Felix, Prinz zu Löwenstein: Man schätzt, dass acht Prozent der Weltnahrungserzeugung durch Urban Farming erfolgen. Es spielt in der Welternährung also eine wichtige Rolle. Insofern ist es völlig richtig, Systeme von Urban Farming zu entwickeln. Aber eine hochtechnisierte, künstliche Umwelt zu schaffen, die natürliche Regelkreisläufe abschaltet, halte ich für hochproblematisch. Keimfreie Umgebungen und Kunstlicht erfüllen mich mit hohem Misstrauen: Mein Körper besteht aus zwei Kilogramm Bakterien und auch im Boden sind Milliarden von Bakterien. Wenn meine Nahrung völlig ohne Bakterien erzeugt wird, kann ich Ihnen zwar nicht sagen, was daran anders ist, doch die Annahme, es sei das Gleiche, halte ich für kühn. Dasselbe gilt für Fleisch aus der Petrischale.
In Deutschland werden 60 Prozent des Getreides an Tiere verfüttert
Quelle: Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung
Stichwort Fleisch: Brauchen wir nicht mehr Landwirtschaft für Menschen statt für die Tierproduktion?
Felix, Prinz zu Löwenstein: In Deutschland werden 60 Prozent des Getreides an Tiere verfüttert. Wenn es um die Frage geht, wie wir ausreichend Nahrung erzeugen können für die immer noch wachsende Weltbevölkerung, dann ist der Schlüssel nicht darin zu suchen, wie wir noch produktiver werden können. Sondern wie wir damit umgehen, was wir erzeugen.
Erstens müssen wir den Fleischverzehr reduzieren.
Felix, Prinz zu Löwenstein: Um eine Kalorie Fleisch zu erzeugen, brauchen wir acht Kalorien Pflanzen. Das ist enorm ressourcenaufwendig. Wir essen trotz besseren Wissens viel zu viel Fleisch, weil es so billig ist. Denn ein Großteil der Kosten landet gar nicht im Preis. Wir laden sie auf der Umwelt ab, auf Menschen, die für Hungerlöhne in Schlachthöfen arbeiten. Und verschlechtern damit die Lebenschancen zukünftiger Generationen. Zweitens müssen wir Lebensmittelabfälle verringern. Wenn wir zusammenzählen, was vor der Ladentheke und im Haushalt weggeschmissen wird, kommen wir auf weltweit etwa 50 Prozent.
Immer mehr Menschen verstehen, dass wir nicht weitermachen können wie bisher. Was kann der Einzelne für eine bessere Ernährung tun?
Felix, Prinz zu Löwenstein: Es ist keine Schwierigkeit mehr, sich komplett bio zu ernähren. Darüber hinaus werden immer mehr Instrumente geschaffen, die es Menschen ermöglichen, unmittelbar Verantwortung zu übernehmen, wie ihre Ernährung läuft – und damit unmittelbar, wie Nahrung erzeugt sind. So kann man sich z. B. im Rahmen der solidarischen Landwirtschaft an einem landwirtschaftlichen Betrieb beteiligen. Überall in Deutschland entstehen Ernährungsräte, um das lokale Ernährungssystem zu verbessern.
Wie ist die Verbindung der Landwirtschaft zu Startups?
Felix, Prinz zu Löwenstein: Die Bäuerinnen und Bauern, die neue Systeme entwickeln, sind Startups. Dabei entsteht keine ökonomisch interessante Einzellösung, aber Know-how, das in Form von Beratung weitergegeben wird. In der Lebensmittelverarbeitung tut sich viel. Während Bio im Lebensmittelmarkt nur bei sechs Prozent ist, sind die Startup-Modelle im überwiegenden Teil Bio. Das ist ein Anreiz für die Landwirtschaft, mehr Bio zu produzieren.