Studivz vs. Facebook, Mytaxi vs. Uber oder Wimdu vs. Airbnb … Die Liste der „Schlachten“ zwischen deutschen Davids und internationalen Goliaths ist lang. Ab sofort ist sie um ein Kapitel reicher: Nextdoor, der internationale Marktführer unter den Nachbarschaftsnetzwerken, hat seine Plattform in Deutschland gelauncht und trifft auf nebenan.de von Serienunternehmer Christian Vollmann, das in Deutschland circa ein Jahr Vorsprung hat. Nachbarschafts-Social Networks könnten sich als dritte Stufe der Social Networks etablieren. Nach Facebook für Freunde und LinkedIn für das berufliche Netzwerk soll so die Kontaktaufnahme zwischen Nachbarn in Großstädten und Dörfern legitimiert werden.
„Alles wird sich in den folgenden Monaten um die Frage drehen, ob eine Koexistenz möglich ist“
Alles wird sich in den folgenden Monaten um die Frage drehen, ob eine Koexistenz zwischen Nebenan und Nextdoor möglich ist. Naheliegender wäre ein gnadenloser Verdrängungswettbewerb. Glaubt man der Gerüchteküche, bringt sich Nextdoor derzeit deutschlandweit in Stellung.
Nextdoor (gegründet 2011, Gesamtinvestment 210 Millionen US-Dollar von zahlreichen Top-VCs sowie einer Bewertung von über einer Milliarde US Dollar) hat seine Community-Seite im Juni 2017 offiziell in Deutschland gestartet. Deutschland-Chef Markus Riecke ist ein erfahrener Manager, der Know-How aus Konzernen, der Startup-Landschaft und vor allem zu Classifieds mitbringt. Gerade im Startupumfeld agierte er aber in der Vergangenheit eher glücklos. Bei Studivz, wo er als Geschäftsführer aktiv war, „scheiterte Riecke offenbar daran, aus der reichweitenstarken Internetseite eine Geldmaschine zu machen“, urteilte damals die Welt.
Nextdoor unter Zugzwang
Nextdoor ist ein echter Moonshot und hat Potenzial zum lukrativen Game Changer im Social Networking. Im Heimatmarkt ist Nextdoor unangefochtener Marktführer. Laut Branchendienst Similar Web liegt Nextdoor auf Platz 160 der meistbesuchtesten Websites in den USA und verzeichnete allein im September 2017 über 60 Millionen Visits* (Sep 2016: 36 Millionen Visits) von 9,1 Millionen Unique Visitors. Die US-Nutzerzahlen sind solide, wenn auch kein echter Hockeystick. Es fehlen die Netzwerkeffekte anderer sozialer Netzwerke. Investoren sind bei Moonshots generell geduldiger - ohne Beleg für das Geschäftsmodell, und der steht noch aus - dürfte der Erfolgsdruck auf das Gründerteam jedoch zunehmen.
„Nach der Übernahme durch Nextdoor sind die Nutzerzahlen von Streetlife eingebrochen“
Eine weitere Problemzone von Nextdoor findet sich in der schleppenden Internationalisierung. Nextdoor ist neben den USA auch in den Niederlanden (Länderrang 1.234) und dem Vereinigten Königreich (Länderrang 1.619) aktiv. Anfang 2017 hat man im Vereinigten Königreich den dortigen Marktführer Streetlife übernommen. Details zur Transaktion wurden zwar nicht veröffentlicht, aber Techcrunch vermutete einen Kaufpreis von rund 10 Millionen Pfund. Die Übernahme wurde desaströs gemanagt: Noch im Jahr 2016 verzeichnete Streetlife monatlich 4,4 Millionen Visits von 684.000 Unique Visitors. Nach der Übernahme durch Nextdoor sind die Nutzerzahlen eingebrochen und liegen nur noch bei knapp zwei Millionen Visits und 445.000 Unique Visitors. In Kürze dürfte die nächste Investitionsrunde anstehen. Hier wird sich zeigen, wie viel Geduld, Vertrauen und Phantasie die Investoren dem Nextdoor-Modell entgegenbringen.
Holpriger Deutschlandstart
Der deutsche Markt zählt sicherlich zu den lukrativsten Märkten weltweit. Die ersten drei Monate liefen für Nextdoor Deutschland jedoch eher mau. Bislang dümpelt die Plattform bei 71.000 Visits und 21.000 Unique Visitors gänzlich unbeobachtet von der Öffentlichkeit. Dazu Branchenexperte Sven Schmidt (unter anderem Online Marketing Rockstars): „Das aktuelle Ergebnis ist für ein soziales Netzwerk mit Massenmarkt-Ambitionen ein Satz mit X, nämlich gar nix.“
In den letzten 12 Monaten hat nebenan.de den deutschen Markt bereits ordentlich beackert. Christian Vollmann kennt den Vorteil des First Movers aus seinen Myvideo-Zeiten. Wie damals hat er auch dieses Mal die Aufmerksamkeit der Presse auf sich gezogen. Aber ist der Vorsprung dauerhaft verteidigbar oder gewinnen am Ende die tiefen Taschen der US-Marktführers? Mit Lakestar und Burda hat Vollmann ebenfalls große Namen an seiner Seite. Und in der Vergangenheit hat das Unternehmensnetzwerk Xing (ebenfalls ein Burda-Investment) bewiesen, dass es durchaus möglich ist, einem internationalen Tech-Giganten ein deutsches Gegengewicht zu stellen. Xing hat gegenwärtig eine Marktkapitalisierung von rund 1,5 Milliarden Euro. Dazu Sven Schmidt „langfristig – und das hat man bereits bei Facebook vs. Studivz gesehen – macht das bessere Produkt den Ausschlag.“
„Nach missglückten Deutschlandstart schaltet Nextdoor nun offensichtlich in den Angriffsmodus“
Nextdoor und Axel Springer
Nach missglückten Deutschlandstart schaltet Nextdoor nun offensichtlich in den Angriffsmodus. Das Manager Magazin lancierte Ende Oktober 2017 die Gerüchte über einen Einstieg Axel Springers bei Nextdoor. Weder Axel Springer noch Nextdoor wollten sich zu den Gerüchten äußern – für Sven Schmidt ist dies nachvollziehbar: „Ein Startup, in dem unter anderem Benchmark investiert ist und das auf dem Papier eine Milliarde wert ist, proklamiert die PR-Hoheit bei diesem Deal für sich. Zweitens: Wenn dein Deutschlandgeschäft aktuell nicht abhebt, dann willst du erst PR machen, wenn die Leistungskennzahl anzieht.“
Auf der Suche nach einem Geschäftsmodell experimentiert Nextdoor in den USA seit kurzem mit Immobilien-Anzeigen. Neben Groupon-ähnlichen Geschäftsmodellen sind digitale Rubrikenmärkte die wahrscheinlichste Monetarisierungsoption für Nextdoor. Sie sind unglaublich margenstark und haben stark lokalen Bezug. Das passt also, denn Axel Springer ist nach eigenen Angaben der größte Classified-Anbieter weltweit. Zur Unternehmenstochter Axel Springer Digital Classifieds gehören unter anderem Immonet, Immowelt, Stepstone, Seloger oder Totaljobs. Zeitgleich kennt sich Axel Springer in der Monetarisierung von lokalem Traffic aus. Zwei Springer-Beteiligungen verdienen hierbei besondere Aufmerksamkeit: meinestadt.de und die Bonial Group (Kaufda).
„Ursprünglich als Städteportal gestartet, ist meinestadt.de heute zur statischen SEO-Seite verkommen“
meinestadt.de und Bonial
Mitte 2012 hat Axel Springer Das Regionalportal meinestadt.de übernommen. Hier werden auch die Tücken des Local Commerce deutlich. Ursprünglich als Städteportal gestartet, ist meinestadt.de heute als Teil von AS Classifieds zur statischen SEO-Seite verkommen. Man konzentriert sich darauf, lokale Suchbegriffe in Leads für Partnerseiten wie Immowelt, Lovescout, Autoscout, booking.com und Eventim zu konvertieren. Aktuell verzeichnet meinestadt.de über 15 Millionen Visits von über 9 Millionen Unique Visitors und liegt damit weit vor lokalen Kontrahenten wie gelbeseiten.de (6,1 Millionen Visits), aber auch deutlich hinter dem Marktführer Ebay Kleinanzeigen (141,2 Millionen Visits). Die Kooperationspotenziale zwischen meinestadt.de und Nextdoor dürften sich wohl nur auf den deutschsprachigen Raum beschränken.
Anders sähe es bei einer Zusammenarbeit zwischen Nextdoor und der Bonial Group aus, die mit dem erfolgreichen digitalen Schweinebauch-Konzept 2013 in die USA expandiert ist. Unternehmensangaben zufolge hat Axel Springer bislang 90 Millionen US Dollar in das Unternehmen investiert. Im November 2016 verkündete Bonial CEO Christian Gaiser, das Unternehmen wolle seine aktive Nutzerbasis in den USA von drei Millionen auf zehn Millionen steigern. Der Traffic der US-Seite ist jedoch seit März 2017 (16 Millionen Visits) stark rückläufig (September 2017: 9,8 Millionen Visits). Möglicherweise ist also die Beteiligung Axel Springers an Nextdoor der Vorbote eines internationalen Joint Ventures.
„Eine Kooperation zwischen Nextdoor und Axel Springer könnte ein cleverer Schachzug für beide sein“
Es bleibt spannend
So viel steht fest: Das Thema Nachbarschaftsportale wird uns in den kommenden Monaten beschäftigen. Eine Kooperation zwischen Nextdoor und Axel Springer könnte ein cleverer Schachzug für beide sein. Oder ein Akt der Verzweiflung von Nextdoor, denn bislang musste Nextdoor noch nie durch Medienpartner wachsen. Auch stellt sich die Frage, ob nicht die Out-of-Home-Anbieter Ströer (national) oder Walldecaux (international) ein sinnvollerer Partner für Nextdoor wären. Hier läge gegenseitiges Potenzial: Zum einen agieren die Out-of-Home-Anbieter hyperlokal und zum anderen könnten Nachbarschaftsportale eine sinnvolle Verlängerung ins Digitale bedeuten. Wir drücken allen Beteiligten die Daumen und freuen uns auf spannende und facettenreiche nächste Monate.
*alle Besucherzahlen stammen vom Branchendienst Similar Web