„Fünf Millionen Menschen in 53 Städten, da wäre jede Best-of-Liste vermessen“
Im Augenwinkel des Denkens findet sich oft, das wissen Startup-Gründer, der Anfang einer guten Idee. Deshalb startet dieser Rundflug über Action und Ausgehen im Ruhrgebiet auch im Knut’s im Wittener Wiesenviertel. Das Knut’s ist Bar und Restaurant mit herrlichem Hinterhof-Biergarten. Drin alte Sofas und Sessel, Kunst und Bizarres an den Wänden, Kaffeehaus charmant wie hip und heutig. Zu Essen gibt es voll Instagram-fähige Speisen von vegan bis Grill. Die hauseigene Bühne bietet Platz für Konzerte und Theater, ein heller Coworking Space plus Repair-Café ist nebenan. Und um die Ecke – auf dem vom Knut’s gegründeten Tummelmarkt – kaufen und quatschen Anwohner, Besucher und Studenten alle paar Wochen bei Streetfood, Straßenmusik und Handgemachtem. „Witten First!“, weil es ein klasse Beispiel für „gelungen anders“ plus DIY im Ruhrgebiet ist. Alle Orte hier sind nur stellvertretend für die enorme Zahl toller Bars, Cafés und Restaurants, grandioser Clubs und Kulturorte im Ruhrgebiet genannt. Fünf Millionen Menschen in 53 Städten, da wäre jede Best-of-Liste vermessen.
Rocken in Dortmund
Derzeit bauen die Hip-Hopper von Die Fantastischen Vier eine Halle auf dem ehemaligen Stahlwerksgelände Phoenix West aufwändig zum Club- und Konzertort um; im November ist Eröffnung mit Mando Diao, danach Fritz Kalkbrenner und Wanda. Rocken, Tanzen! Arbeitsmüde Vielarbeiter bekommen auch in kleinen Clubs die Beats, die sie brauchen: Zum Beispiel bei Oma Doris, einst Tanzcafé mit Tischtelefonen, heute verspiegelte Decke über der Tanzfläche, dazu erstklassige House- und Elektrosounds. Tanzen geht auch auf der obersten Etage des 70 Meter hohen Brauereiturms direkt neben dem Hauptbahnhof, seit 2010 Kunst- und Kreativzentrum Dortmunder U: Hier legen jedes Wochenende DJs auf – mit spektakulärem Ausblick über die ganze Stadt.
Oder ins Schauspiel Dortmund, dem innovativsten Theater in NRW. Intendant und Ex-Punk Kay Voges baut Videos, Live-Coding, Bands und digitale Visuals mit in die Stücke ein oder organisiert Kongresse zur digitalen Revolution – und heimst dafür reihenweise Preise ein. Essen und Trinken jenseits von Currywurst und Pils gibt es im koreanischen Restaurant Namu, wo auch – wer vorher nichts von dieser Küche wusste – hernach als Fan wieder geht. Wenn Dienstag oder Samstag ist, sollte man unbedingt auf einen Meter in den Schlips. Zwei Tage, drei Getränke, nur Wasser, Pils und Wacholder (Gin) – auf Wunsch ein Meter davon – in einer Kneipe im perfekten 1950er-Jahre Stil. Jetzt auch mit Kegelbahn im Keller. Etwas raus aus der Stadt, bei Hohoffs 800° The Farmhouse gibt’s in ländlicher Atmosphäre unfassbar große, saftige, geniale Steaks in US-Qualität aus dem Spezialofen. Wartezeit für Reservierungen: manchmal mehrere Wochen!
Cocktails in Bochum
Die Stadt ist um einiges kleiner als Dortmund – zu ihrem Vorteil. Nirgendwo liegen nämlich so viele gute Orte zum Ausgehen auf so engem Raum beieinander: Vom berühmten Bermuda3eck, einem Gewusel aus Bars und Restaurants, Kinos und Kneipen, bis zum hübsch räudigen Rottstraßenviertel mit Theater, Galerien und Bars, dem neuen Musikzentrum, dessen Eingang eine alte Kirche ist. Ein möglicher Feierabend beginnt wohl in der Goldkante, Bar und Szenetreff, wo auf engem Raum DJ-Abend, Lesung oder Miniflohmarkt neue Ideen und überraschende Gäste aufeinandertreffen. Danach den Hunger mit einem Pastrami-Sandwich im Matzen stillen, ein jüdisches Restaurant neben Synagoge und Planetarium. Oder ins Livingroom, dem Esstempel mit internationalem Look und dem Feinsten von Fleisch und Fisch. Weiter in eine der besten von unzähligen Bars im Bermuda3eck: Cava trinken in der Badalona Bar und dazu Tapas vom offenen Grill. Und jetzt Musik: zum Beispiel in der wiedereröffnete Rotunde, einem alten Bahnhof, wo Record-Release-Partys, Clubnächte, Lesungen oder Konzerte laufen.
Kino in Essen
Die Autobahn führt in Essen mitten durch die Stadt, an der Abfahrt zum Zentrum Hochhäuser alter Industrieriesen und kriselnder Konzerne. Ruhrpott als betongewordenes Klischee. Aber das Leben geht weiter, es gibt in der Stadt Hochschulen und Kunstakademien, Ausgeh- und Amüsierperlen, die aus dem War-einmal ein lebenswertes Heute machen. Etwa das vielleicht schönste, auf jeden Fall größte Kino Deutschlands, die Lichtburg. Eröffnet 1928 und vor ein paar Jahren aufwändig renoviert. Hier sitzt man auf mondänen, roten Polstersitzen vor der haushohen Leinwand und kann Tarantino-Filme nicht nur digital, sondern auch auf 70-Millimeter-Film sehen, bei Deutschlandpremieren Stars treffen Zeichenoder Filmorchester zu Stummfilmklassikern spielen hören.
Rüber auf die Rü, die Rüttenscheider Straße, gleich neben dem weltweit bekannten Museum Folkwang. Dort reihen sich klasse Cafés und Bars zum Abhängen und Genießen aneinander. In der heimeligen Zweibar bekommen wir perfekten Kaffee, gutes Essen und Cocktails. Oder ein Stück weiter ins Tatort, ein Lokal mit feinen, marktfrischen und saisonal wechselnden Gerichten. Der Koch hat in Sternehäusern gelernt und setzt Ideen jenseits von Saucenschlacht oder Chichi um. Rüber in die Fcuk Yoga Bar. Der Name mag verwirren, das Angebot ist simpel: die besten Cocktails der Region von einem mehrfach preisgekrönten Mixer in einer wunderbaren Shabby-Schick-Bar. Buddha-Figuren, weiße Couchmöbel, dazu ein Himmelbett und Cocktails wie Corny Motherfcuker oder Le Gurk als exquisite Eigenkreationen.
„Mehr Berlin mitten im Ruhrgebiet geht nicht“
Danach ins Hotel Shanghai: schrille Leute, hohe Partybereitschaft und Exzess zu diversen Musikreihen irgendwo zwischen Techno und Trash. Hier legen Größen wie DJ Koze oder Ellen Allien auf. Grimmige Pandas starren von den Wänden und über der Tanzfläche schweben hunderte Origami-Papiervögel. Mehr Berlin mitten im Ruhrgebiet geht nicht. Der Fleckenteppich Ruhr hat viele, sehr viele Hotspots von internationalem Flair und spitzen Qualität im Gewebe. Man könnte hier ewig weiter listen, aber irgendwo muss man ja anfangen zu trinken und zu tanzen.