Rahmyn Kress zur digitalen Transformation
Vor welchen Herausforderungen steht die deutsche Wirtschaft in Sachen Digitalisierung?
Rahmyn Kress: Eine der größten Herausforderungen im Rahmen der digitalen Transformation ist zweifelsohne, die richtige Kultur in den Unternehmen zu etablieren. Also weg vom Blick rein auf Prozesse und Strukturen hin zum Kern – der Unternehmenskultur. Das geht mit einem veränderten „Mindset“, also der Einstellung der Mitarbeiter und auch der Unternehmensführung, einher. So erwartet beispielsweise eine Vielzahl von Geschäftsleuten eine fundamentale Veränderung ihres Geschäftszweiges, allerdings glauben nur die Wenigsten, dass dieser Wandel auch ihr aktuelles Geschäftsmodell betrifft.
Die notwendige kulturelle Transformation der Unternehmen wird unterschätzt
Meiner Meinung nach wird hier die notwendige kulturelle Transformation der Unternehmen unterschätzt. In Zukunft wird jedes Unternehmen ein Technologieunternehmen sein (müssen). Das müssen wir verstehen, annehmen und umsetzen. An dieser Stelle muss auch die Organisationsstruktur entsprechend angepasst werden, denn statt eines vielfältigen Bildungs-Ökosystems gibt es häufig nur lineare Förderung.
Weitere Herausforderungen können das Umfeld im Rahmen von Infrastruktur, Gesetzgebung und politischer Verantwortlichkeit, aber auch der Mangel an finanziellen Ressourcen betreffen.
Von „Digital Tech“ hin zu „Digital Life“
Wie setzt Henkel digitale Transformation um?
Rahmyn Kress: Für die digitale Transformation bei Henkel gilt: von „Digital Tech“ hin zu „Digital Life“. Die Digitalisierung beeinflusst heutzutage alle Lebensbereiche: die Gesellschaft, Menschen, Unternehmen und damit auch Henkel. Dabei verlangt die digitale Transformation eine neue Art von Unternehmertum. Das Unternehmertum ist ein Teil der Henkel-DNA und auch essenziell für Henkelx.
Henkelx ist eine neue Organisationseinheit und Plattform, die ich gegründet habe, um genau diese unternehmerische Transformation bei Henkel voranzutreiben. Ziel ist es, die unternehmerische Energie in unserem Unternehmen zu bündeln und zu beschleunigen. Dabei spielt der Netzwerkgedanke eine entscheidende Rolle: Henkelx bringt interne und externe Netzwerke zusammen – interne Experten aus allen Bereichen werden mit der Erfahrung und der Innovationskraft externer Partner zusammengebracht, um gemeinsam an Lösungen, neuen Geschäftsmodellen und den Herausforderungen der Zukunft zu arbeiten.
Wir müssen agil und gut vernetzt sein
Im „Henkelx Mentorship Club“ unterstützen erfahrene Manager aus der Industrie, Investoren und Unternehmer unsere Projektteams mit ihrer Expertise. Henkelx schafft so ein offenes System für Innovation. Auch Startups bringen wichtige Impulse. Deshalb engagieren wir uns nicht nur bei externen Events wie dem NKF Summit, sondern organisieren auch eigene Veranstaltungen wie die Reihe „Show and Tell“.
Einmal im Monat laden wir vielversprechende Startups zu Henkel ein, die ihre Ideen und Ansätze vorstellen. Daraus ergeben sich viele konkrete Möglichkeiten der Zusammenarbeit – und es ist ein idealer Rahmen für Austausch, intensive Gespräche und Inspiration. Beim letzten Startup-Event dieser Art haben mehr als 1.000 Mitarbeiter von Henkel vor Ort oder virtuell aus aller Welt zugeschaltet teilgenommen.
Gleichzeitig fördern wir intern digitale Formate der Zusammenarbeit sowie neue Arbeitsweisen bei Henkel. Denn heute müssen wir nicht nur unternehmerisch handeln, sondern auch agil und gut vernetzt sein. Genau diese Werte zeichnet Henkelx aus. Ein wesentlicher Unterschied zu der digitalen Transformation in anderen Unternehmen ist die starke Verankerung. Dadurch, dass Henkelx als halbautonome Einheit inmitten des globalen Hauptsitzes von Henkel in Düsseldorf angesiedelt ist, wird der direkte Bezug zu allen drei Unternehmensbereichen gewährleistet.
Welche Startups sind spannend für Henkel?
Rahmyn Kress:Besonders spannend für uns sind Startups, die in einem oder mehreren unserer Suchfelder aktiv sind. Diese Suchfelder beschreiben die Themen und Bereiche, die für Henkel von strategischem Interesse sind. Dabei geht es in den Konsumentengeschäften von Henkel (Beauty Care und Laundry & Home Care) vorrangig um Themen wie das „Internet of Things“, personalisierte oder nachhaltige Produkte und Services.
Für das Industriegeschäft des Bereichs Adhesive Technologies stehen vor allem Technologie-Innovationen wie 3D-Druck, funktionale Beschichtungen oder gedruckte Elektronik im Vordergrund. Im Mittelpunkt stehen hier insbesondere die Zukunftsfähigkeit der innovativen Idee, die Relevanz der Innovation in einem dynamischen Markt wie auch die Frage, ob das Start-up bereits Umsatz erzielt.
Startups sind Innovationstreiber
Inwiefern sind Kooperationen mit Startups bereichernd?
Rahmyn Kress: Zukünftige Marktentwicklungen und Anwendungen wollen wir frühzeitig antizipieren. Neben der eigenen Forschung & Entwicklung richten wir den Blick auch nach außen: Startups sind Innovationstreiber, geben wichtige Impulse und verfügen teilweise über besonderes fundiertes fachliches Know-how oder spezielle technische Möglichkeiten. Investments sowie gemeinsame Entwicklungsprojekte mit innovativen Startup-Unternehmen bieten uns die Möglichkeit, neue Technologien, Anwendungen oder Geschäftsmodelle zu erschließen, die von strategischem Interesse für Henkel sind, und diese gemeinsam weiterzuentwickeln.
Durch die Zusammenarbeit mit Startups erhalten wir nicht nur wertvolle Einblicke, sondern entwickeln auch vielversprechende Zukunftstechnologien und Geschäftsmodelle gemeinsam mit Start-ups für Henkel weiter.
Wie kann eine sinnvolle Zusammenarbeit zwischen Startups und Corporates aussehen, bzw. gestaltet werden?
Rahmyn Kress:Für eine sinnvolle Zusammenarbeit ist der richtige Kontext entscheidend. Das Ziel muss es sein, eine Umgebung zu schaffen, in der alle voneinander und miteinander lernen können. Solch eine Partizipationskultur muss geprägt sein von Offenheit, Heterogenität, Agilität, Kollaboration und Respekt. Gleichzeitig ist das richtige Geschäftsmodell wichtig, das sich aus Profit und einem geteilten „Purpose“ – also Zweck – zusammensetzen sollte, um langfristig wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen.
Wir müssen in Deutschland eine risikofreudigere Kultur etablieren
Wo besteht noch Nachholbedarf?
Rahmyn Kress:Einen großen Unterschied kann die richtige Unternehmenskultur machen. Wir Deutschen sind keine Spielernation – außer wenn es um Fußball geht. Wir machen nicht gerne Fehler und lösen Probleme häufig mit Expertise und Genauigkeit. Es muss uns in Deutschland noch besser gelingen, eine risikofreudigere Kultur zu etablieren, weg von einer eher skeptisch orientierten „Tüftler-Einstellung“.
Hier zeigt sich wieder ganz deutlich, dass eine solche Transformation nicht allein mit Technologie und Tools verbunden ist, sondern dass die Menschen mitgenommen werden müssen. Im Laufe meiner Karriere habe ich bei vielen großen Unternehmen festgestellt, dass vor allem Nachholbedarf bei der wahrgenommenen Dringlichkeit von organisationalen und strukturellen Veränderungen besteht. Auch das Erwartungs- und Stakeholder-Management wird immer wieder unterschätzt und führt zu Blockaden im Prozess.
in Sachen digitale Transformation ist Schnelligkeit das A und O
Ich freue mich, dass ich bei Henkel bereits ein Umdenken und ein erhöhtes Bewusstsein für die Dringlichkeit der Umsetzung von strukturellen Veränderungen wahrnehmen konnte. Wir bestreiten diese Reise gemeinsam und werden auch unsere Prozesse kontinuierlich anpassen. Besonders hilfreich ist, dass wir bei Henkel eine sehr offene Kommunikationskultur haben und ich sehr vertrauensvoll mit dem Vorstand und auch den verantwortlichen Kolleginnen und Kollegen aus den Unternehmensbereichen zusammenarbeite. Gemeinsam suchen wir nach Lösungen – in Sachen digitale Transformation ist Schnelligkeit das A und O.
[td_block_text_with_title custom_title=”Rahmyn Kress”] Rahmyn Kress ist Chief Digital Officer und Vorsitzender des Digitalen Executive Committee bei Henkel, einem 142-Jahre-alten Chemie und Konsumgüterherstellers mit Hauptsitz in Düsseldorf, Deutschland. Er verfügt über mehr als 25 Jahre Berufserfahrung in der Entwicklung und Umsetzung von Digitalstrategien und umfangreiche internationale Expertise in verschiedenen Branchen. Seit 2010 war er in verschiedenen Führungspositionen bei Accenture tätig – als CEO und Präsident von Digiplug, einer digitalen Tochtergesellschaft von Accenture im Bereich digitaler Lieferketten, als Managing Director Telecom, Media & Technology sowie zuletzt als Managing Director von Accenture Technology Ecosystems & Ventures in Europa. Davor war er Senior Vice President für Physical and Digital Operations bei der Universal Music Group, wo er umfangreiche Erfahrung im Bereich der digitalen Transformation im Zuge der Disruption der Medien Industrie sammelte. (Foto: Henkel)