„In Teams wird Energie frei“
Herr Weinberg, 2007 haben Sie die D-School in Potsdam gegründet. Hat sich die Bedeutung von Design Thinking in diesen neun Jahren verändert?
Ulrich Weinberg: 2007 haben wir unseren Schwerpunkt auf die Studierenden und auf Innovationen rund um Produkte und Services gelegt. Teambasiertes Arbeiten mit Studierenden aus verschiedenen Disziplinen stand im Vordergrund. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass Design Thinking auch für die Entwicklung und das Redesign von Business-Modellen interessant ist. In diesem Bereich bewege ich mich mittlerweile immer mehr und bin jetzt ganz nah dran an Managern, Bankdirektoren, Firmenchefs.
Warum ist Design Thinking für diese Unternehmen so interessant?
Ulrich Weinberg:Durch die Digitalisierung wächst der Veränderungsdruck nicht mehr linear, sondern exponentiell. Es vernetzen sich Netze mit Netzen; dadurch ergeben sich mehr Informationen und Möglichkeiten. Viele Prozesse werden schneller, und die Unternehmen merken, dass sie ihre Geschäftsmodelle verändern müssen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Mit dieser Veränderung kommen viele schlecht klar, weil sie mit einem alten Denk- und Handlungsapparat an die Sache herangehen: analog, nicht vernetzt und kompetitiv.
Wie kommt es, dass auch junge Menschen noch in diesem Denken stecken?
Ulrich Weinberg:Die Menschen kommen aus einem hochkompetitiven Bildungsapparat, der bestimmte Denkgewohnheiten prägt. Schulen und Hochschulen setzen traditionell extrem auf den Einzelnen, der in Wettbewerb zu anderen steht. Wenn ich das jahrelang trainiere, bildet sich eine sehr wettbewerbsorientierte Haltung. Interessant ist, dass unsere Studenten denken, sie seien vernetzt, weil sie auf Facebook, Linkedin und so weiter aktiv sind. Aber eigentlich sind oft nur die Maschinen vernetzt, nicht die Köpfe.
Vor diesem Problem stehen auch Unternehmer. Was raten Sie: Wie können Unternehmen das ändern?
Ulrich Weinberg:Im digitalen Zeitalter brauchen wir ein vernetztes und kollaboratives Denken. Was wir hier an der D-School machen, hat im Kern wenig mit Technik zu tun. Das Spannende ist die soziale Innovation. Die Studenten lernen zuerst im Team zusammenzuarbeiten. Das ist in der Regel eine ungewohnte Erfahrung, obwohl die meisten schon Teamerfahrung haben. Die ist aber meist negativ, wenn T-e-a-m bedeutet: ‚Toll, ein anderer macht’s!‘ In den ersten Wochen arbeiten unsere Studenten verschiedene Aufgaben in Teams ab und merken nach einer Weile, dass wir nicht auf die Einzel-Performance achten und auch die Teams nicht benoten. Wir schauen uns die Qualität der Ergebnisse bei der Präsentation an. Sobald sie das registrieren, passiert in den Köpfen etwas und in den Teams wird eine unglaubliche Energie frei. In einem solchen bewertungsfreien Umfeld entsteht die intrinsische Motivation, gute Qualität abzuliefern.
„Auf der Ebene der Organisation ins 20. jahrhundert zurückzufallen, bringt keinen Fortschritt“
Können Startups als kleine, agile Unternehmen von Design Thinking profitieren?
Ulrich Weinberg:Aus den kleinen Unternehmen werden irgendwann größere; sie wachsen aus der Startup-Phase heraus und in eine Organisationsform hinein, die ich Brockhaus-System nenne. Bei Zalando beobachten wir das gerade intensiv, weil wir ein Projekt zusammen machen. Zalando ist so extrem gewachsen, dass jetzt Strukturprobleme entstehen, die von Beratern gelöst werden, die noch in alten Mustern denken. Ich finde es aber wichtig, dass diese Unternehmen ihre organisatorischen Herausforderungen von innen heraus und mit Blick auf die sich wandelnde Technologie selbst in den Griff kriegen. Auf der Organisationsebene ins 20. Jahrhundert zurückzufallen, bringt keinen Fortschritt. Genau hier kann Design Thinking ansetzen.
Gibt es dafür ein Beispiel?
Ulrich Weinberg:Paypal hat vor etwa zwei Jahren eine Design-Thinking-Welle über den Globus geschickt und alle Mitarbeiter wenigstens grundlegend geschult: Was ist Design Thinking, wie bleibe ich nah am Kunden, wie befördere ich die Kooperation zwischen unterschiedlichen Werken besser, wie funktioniert Prototyping? Das hat mich erstaunt, und ich fand sehr gut, dass sie sich das verordnet haben. Paypal hat verstanden, dass es nicht darum geht, ein bisschen besser oder ein bisschen innovativer zu sein, sondern um einen tiefgreifenden Kulturwandel im ganzen Unternehmen.
Das Gespräch führte Anna-Lena Kümpel.
[td_block_text_with_title custom_title=”ULRICH WEINBERG”]Ulrich Weinberg ist Professor für Design Thinking an der HPI D-School in Potsdam, die er 2007 gründete. Er vermittelt Studierenden die Fähigkeit, in multidisziplinären Teams benutzerfreundliche Produkte zu entwickeln, und arbeitet mit Unternehmen an deren Innovationsfähigkeit. Zuvor war er Professor für Computer Animation.