„Wir sind immer noch im Pferde- und Kutschenzeitalter der Internetwirtschaft“
John, Deutschland ist der 18. Markt, in dem ihr jetzt startet. Warum erst jetzt?
John Collison: Wir wollen nicht das amerikanische Unternehmen sein, das nach Deutschland kommt und allen seine Lösung aufzwingen will. Also haben wir schon 2013 begonnen, mit einigen Testkunden herauszufinden, was Unternehmen hierzulande brauchen. Mithilfe des Feedbacks haben wir das Produkt an den deutschen Markt angepasst. Die auffälligste Änderung ist die Fülle an Zahlungsmethoden, die wir in Deutschland unterstützen: Sepa-Lastschrift, Sofort und Giropay, um nur ein paar zu nennen. Das führt hoffentlich dazu, dass mehr Unternehmen jetzt ein Internetbusiness starten, weil es mit uns einfacher geworden ist.
Ist das euer Ziel, Unternehmen beim Aufbau ihres Geschäfts zu helfen?
John Collison: Unsere Mission ist es, die Online-Wirtschaft voranzubringen und das Bruttosozialprodukt des Internets zu steigern. Weil wir so viel über Startups und das Internet sprechen, machen viele Leute sich nicht bewusst, dass die Online-Wirtschaft immer noch am Anfang steht: Ihr Anteil an der gesamten deutschen Wirtschaft liegt erst bei 3,7 Prozent. Das ist sehr wenig. Ein Grund dafür ist, dass die Infrastruktur fehlt. Wir haben 2017 und es ist immer noch sehr kompliziert, ein Online-Geschäft aufzubauen und etwas an die drei bis vier Milliarden Menschen zu verkaufen, die mit dem Internet verbunden sind. Das ist doch verrückt. Wir bieten Unternehmen die Möglichkeit, ihren Kunden überall auf der Welt online Zahlungen in allen Währungen anzubieten. Aber das ist nur ein Teil von Stripe.
Und der andere Teil?
John Collison: Wenn man zum Beispiel ein Magazin wie Berlin Valley online verkaufen will, braucht man ein Abo-Modell und eine Kundenverwaltung, man muss Rechnungen verschicken und kontrollieren und vieles mehr. Für all diese Anwendungen, die nichts mit dem Kerngeschäft zu tun haben, braucht man Entwickler. Stripe bietet die passende Infrastruktur an und macht das Leben so für viele Unternehmen viel leichter.
„Die Hälfte der amerikanischen Kunden kauft bereits bei Firmen, die unsere Services nutzen“
Ihr werdet immer als Payment-Anbieter bezeichnet, das ist also nur die halbe Wahrheit?
John Collison: Die Industrie will Unternehmen immer in Schubladen stecken. Wir helfen Unternehmen dabei, ihre Kunden weltweit online zu erreichen. Nehmen wir als Beispiel Plattformen wie Kickstarter in den USA, Deliveroo in Großbritannien oder auch Bsit in Belgien, eine Plattform mit mehr als 70.000 Babysittern. Sie alle bringen Angebot und Nachfrage zusammen. Geld kassieren ist dabei nur ein kleiner Teil des Geschäfts, aber um die Geldflüsse zu managen, müssten diese Marktplätze im Grunde ein eigenes kleines Fintech aufbauen. Mit unserer Software-Plattform Stripe Connect lösen wir das Problem.
Wer sind eure Wettbewerber, andere Payment-Anbieter wie Paypal oder Anbieter von Unternehmenssoftware wie Oracle oder SAP?
John Collison: Ein interessanter Vergleich. Erst einmal sehen wir keinen anderen Anbieter, der die unterschiedlichen Zahlungsmethoden so zur Verfügung stellen kann wie wir. Wir treten nicht in Konkurrenz zu anderen Zahlungsanbietern, wir arbeiten mit ihnen zusammen.
Aber nicht mit Paypal.
John Collison: Richtig, Paypal möchte, dass einfach alle Paypal nutzen. Wir glauben aber nicht, dass die Welt so funktioniert. Es ist vielmehr so: Wenn Unternehmen Stripe nutzen, eröffnen sie ihren Kunden sehr viel mehr Zahlungsmöglichkeiten. Und darüber hinaus bieten wir umfangreiche Unternehmenssoftware an. Mit Stripe kann man Abo-Modelle oder Marktplätze bauen, sich vor Betrug schützen, und seit kurzem bieten wir mit Sigma auch ein Analytics-Tool an. Wir sehen keine andere Firma, die dieses umfangreiche Angebot hat. SAP und Oracle zielen auf große Unternehmen ab, während wir bei kleinen Unternehmen anfangen. Und inzwischen nutzt auch SAP Stripe Connect.
Welche Bedeutung hat die Partnerschaft mit Alipay und Wechat Pay für Stripe?
John Collison: Wir ermöglichen Unternehmen damit, schnell und einfach in den sonst schwer zugänglichen chinesischen Markt einzutreten – und Zahlungen auf die Art und Weise abzuwickeln, wie es die chinesischen Endnutzer bevorzugen. Unsere Nutzer erreichen so mehr als eine Milliarde chinesische Konsumenten.
Wer sind eure Kunden in Deutschland?
John Collison: Wir arbeiten bereits mit tausenden Firmen in Deutschland zusammen, darunter zum Beispiel Freeletics, Book a Tiger oder auch Croove, die Carsharing-Plattform von Daimler. Als Endkunde nimmt man uns nicht unbedingt wahr, weil wir ein Infrastrukturanbieter sind. Aber die Hälfte der amerikanischen Kunden kauft bereits bei Firmen, die unsere Services nutzen.
„Wenn du als Unternehmer glaubst, du hast alle Antworten, wenn du einen Steve-Jobs-Komplex hast, dann wirst du in Schwierigkeiten kommen“
Was waren die größten Schwierigkeiten auf dem deutschen Markt?
John Collison: In den USA zahlt so gut wie jeder mit Kreditkarte, dagegen ist der deutsche Markt sehr heterogen und es gibt viele neue Zahlungsmethoden. Wir reduzieren Komplexität, damit unsere Kunden sich damit nicht herumschlagen müssen.
Wie organisiert ihr den Vertrieb?
John Collison: Wir haben ein Sales-Team in den USA und wir bauen ein Büro in Berlin auf, das auch von unserem europäischen Headquarter in Dublin unterstützt wird. Aber ehrlich gesagt sind die Entwickler unsere besten Fürsprecher. Stripe hat einen ziemlich guten Ruf, weil die Integration so schön einfach ist.
Stripe ist euer zweites Startup. Was habt ihr aus der ersten Gründung gelernt?
John Collison: Im Prinzip haben wir dabei das Geschäftsmodell für Stripe entdeckt, denn wir haben am eigenen Leib erfahren, wie schwierig die Integration verschiedener Zahlungssysteme war.
Habt ihr bei Stripe keine Fehler mehr gemacht?
John Collison: Wir haben jedenfalls keine katastrophalen Fehler gemacht, sonst würde ich nicht hier sitzen. Aber natürlich macht man dauernd alle möglichen Fehler und lernt daraus. Das ist eine der wichtigsten Eigenschaften, wenn man ein Unternehmen führt: Fehler zu erkennen und zu korrigieren. Ein Fehler war wahrscheinlich, dass wir zu lange gewartet haben, bestimmte Teile des Unternehmens zu skalieren. Heute sind wir 750 Leute, aber wir waren beim Aufbau des Teams sehr konservativ. Wir hätten sicher stärker wachsen können, wenn wir dabei schneller gewesen wären. Ein anderer Fehler ist es immer, nicht konsequent genug auf die Kunden und auf den Markt zu hören. Das klingt zwar so offensichtlich und alle reden davon, dass man auf seine Kunden hören muss. Aber tatsächlich legen zu wenige Startups ihren Fokus darauf. Es gibt immer viele Ausreden, es nicht zu tun.
Wie schafft ihr es, die Startup-Kultur und die Schnelligkeit zu erhalten?
John Collison: Bei einer Organisation von 750 Leuten muss man einen Weg finden, kleine selbstständige Teams zu bilden, die sich mit Startup-Geschwindigkeit bewegen. Trotzdem muss natürlich jeder wissen, in welche Richtung er laufen soll. Die übergeordnete Vision und die Strategie müssen jedem klar sein und was die Ziele für die kommenden Jahre sind. Wichtig ist aber, den bürokratischen Überbau zu reduzieren.
„Wir befinden uns ja immer noch im Pferde- und Kutschenzeitalter der Internetwirtschaft“
Wird man nicht immer wieder überrascht, wenn die Teams autonom arbeiten?
John Collison: Nein, wir sind sehr transparent. Es geht nicht darum, sich abzuschotten. Es geht darum, Abhängigkeiten zu vermeiden, sodass nicht ein Team auf ein anderes warten muss, um loslegen zu können.
Woher weißt du, wie man ein Unternehmen führt?
John Collison: Also ganz sicher wussten wir nicht, wie man eine so große und komplexe Organisation wie Stripe heute führt, als wir Stripe gestartet haben. Viele Leute bekommen nicht mit, was hinter den Kulissen passiert. Erstens: Wenn du ein erfolgreiches Business hast, dann ist die Zeit auf deiner Seite. Dann kannst du es verkraften, wenn du mal für eine Weile in die falsche Richtung läufst. Die Leute vergessen die Fehlschläge und erinnern sich an die Erfolge. Und Zweitens: Am Anfang haben Patrick und ich das Produkt selbst entwickelt, aber heute haben wir viel bessere Ingenieure, als wir es sind. In der ganzen Organisation arbeiten wir mit erfahrenen Leuten zusammen, die wissen, wie man eine so große Organisation führt. Wenn du als Unternehmer glaubst, du hast alle Antworten, wenn du einen Steve-Jobs-Komplex hast, dann wirst du in Schwierigkeiten kommen. Ich bewundere Unternehmer, die sich selbst und ihre Überzeugungen infrage stellen und laufend dazulernen.
Denkst du über diese Dinge nach?
John Collison: Ja, das ist ein aktiver Prozess.
Es hat sich gezeigt, dass die Gründer von Unternehmen nicht immer die besten Manager dieser Unternehmen sind. Siehst du das auch so?
John Collison: Ein Entrepreneur muss auf jeden Fall aktiv daran arbeiten, dass ihm dieser Wandel gelingt, denn es sind ganz andere Fähigkeiten gefragt. Ein Teil der Antwort ist, dass man sich fragt, welche Organisation man aufbauen will, welches Verhalten man toleriert und welches nicht. Und dazu reicht es nicht, ein schön klingendes Mission-Statement an die Wand zu hängen, man muss es auch leben.
Wo siehst du Stripe in zehn Jahren?
John Collison: Wir werden Stripe immer internationaler machen, um unserem Ziel näher zu kommen, das Bruttosozialprodukt des Internets zu steigern. Wir befinden uns ja immer noch im Pferde- und Kutschenzeitalter der Internetwirtschaft. Nicht einmal fünf Prozent der globalen Wirtschaft werden über das Internet abgewickelt. Und obwohl Milliarden von Menschen an das Netz angeschlossen sind, gibt es immer noch so viele Hürden. Wir werden weiter daran arbeiten, die Komplexität der Online-Wirtschaft zu reduzieren. Wir haben keine fertige Technologie, die wir an den Markt bringen wollen. Es ist eher anders herum: Wir entwickeln, was die Unternehmen brauchen, um loslegen zu können. Das können ganz neue Produkte sein.
Und wo siehst du dich in zehn Jahren – bei Stripe oder willst noch einmal gründen?
John Collison: Ich denke, wir werden in zehn Jahren mit Stripe immer noch genug zu tun haben, denn die Liste der Probleme, die wir noch lösen müssen, ist einfach zu lang.
Das Gespräch führte Corinna Visser.
John wurde 1990 in Irland geboren. 2007 gründete er mit seinem zwei Jahre älteren Bruder Patrick das Startup Shuppa (später Auctomatic). Ihr zweites Startup Stripe wurde zuletzt mit 9,2 Milliarden Dollar bewertet. Das macht John auf dem Papier zum weltweit jüngsten Selfmade-Milliardär.