Wie Corporates und Startups zusammenarbeiten
Die Digitalisierung verändert unser Leben und die Wirtschaft radikal. Das muss man niemandem mehr erklären. Um so verwunderlicher ist es, dass viele etablierte Unternehmen das Thema noch immer nicht zur Chefsache erklärt haben.
In nur sechs Prozent der großen Firmen ist die Digitalisierung das Top-Thema im Unternehmen. Das haben die Marktforscher der GfK noch Anfang dieses Jahres im Auftrag der Digitalberatung Etventure ermittelt, als sie dazu Vorstände und Führungskräfte von 2000 Großunternehmen mit mindestens 250 Millionen Euro Jahresumsatz in Deutschland befragt haben. Startups können den etablierten Unternehmen auf die Sprünge helfen.
Den Unternehmen geht es zu gut
Das mit Abstand am häufigsten genannte Hindernis bei der Umsetzung der Digitalisierung ist mit 65 Prozent die „Verteidigung bestehender Strukturen“. Immerhin gaben auch gut die Hälfte der Befragten an, für dieses Thema fehle ihnen schlicht die Zeit. „Die Ergebnisse zeigen, dass die Unternehmen zwar eine wachsende Bedeutung des Themas sehen, die volle Tragweite der Digitalisierung bislang aber häufig noch nicht erkannt wird“, schreiben die Autoren der Studie.
Nach Einschätzung des Digitalverbandes Bitkom hat rund die Hälfte der Unternehmen in Deutschland noch keine echte Digitalstrategie. Man könnte sagen, den deutschen Unternehmen geht es zu gut. Denn je besser die Geschäfte laufen, je besser das bestehende Produkt ist, desto schwieriger ist es, das eigene Geschäftsmodell in Frage zu stellen und alles radikal anders zu machen. Das ist das Innovator’s Dilemma.
Disruption bedeutet, das bestehende Geschäft zu zerstören und sich einem neuen zuzuwenden. Dafür sehen viele keinen Anlass, solange die Auftragsbücher voll sind.
Auf der Bundesdeligiertenkonferenz der Grünen in Münster formulierte Daimler-Chef Dieter Zetsche es so: „Der Verbrennungsmotor muss seine Abschaffung selbst finanzieren.“ Radikal neu denken geht anders.
Disruption bedeutet nämlich auch, dass sich die Anforderungen an die Mitarbeiter und – wie im Beispiel Daimler – auch an die Zulieferer grundlegend verändern. Und wer arbeitet schon gern daran, seinen eigenen Job, sein eigenes Produkt überflüssig zu machen? Hier stehen hunderttausende Arbeitsplätze auf dem Spiel. Auf dem Spiel stehen sie allerdings ohnehin, denn wenn die bestehenden Unternehmen sich nicht verändern, laufen sie Gefahr, irgendwann von anderen Unternehmen abgelöst zu werden.
Startups sind die Treiber der Digitalisierung. Ein Beispiel dafür ist Freighthub, das gerade dabei ist, das Speditionsgewerbe zu digitalisieren. Startups fällt das schon allein deshalb leichter, weil sie als Digital Natives keine Rücksicht auf Bestehendes nehmen müssen. „Startups spielen bei der Entwicklung neuer Technologien, innovativer Dienstleistungen und Produkte oder digitaler Geschäftsmodelle eine prominente Rolle“, sagt Peter Lennartz, Leiter der EY Start-up-Initiative. „Sie sind offener, kreativer und agiler, freier und experimentierfreudiger als etablierte Unternehmen. Große Unternehmen laufen Gefahr, nach der verschlafenen Kommerzialisierung des Internets auch bei der Digitalisierung beziehungsweise der Vernetzung der Wirtschaft zu den Verlierern zu gehören.“
Startups geben Starthilfe
Startups fehlt es jedoch an anderen Dingen: Wenn es nicht das Geld ist, dann der Zugang zum Markt. Die Online-Handarbeitsschule Makerist hat sich lange vergeblich bemüht, bei der Redaktion der Zeitschrift Brigitte beachtet zu werden. Nun ist Gruner + Jahr selbst eingestiegen – und jetzt klappt es. Eine gute Idee zu haben, ist eine Sache, sie auch an den Kunden zu bringen eine andere. Neun von zehn Startups scheitern, dafür gibt es viele Gründe. „Startups fehlt es oft an den notwendigen Ressourcen und an der Infrastruktur für den Geschäftsaufbau oder am Know-how in Bereichen wie Forschung und Entwicklung, Produktion, Marketing oder Vertrieb – Kompetenzen, die absolut nötig sind, um aus einer einfachen, innovativen Idee ein erfolgreiches Geschäftsmodell zu entwickeln“, sagt Peter Lennartz von EY. Diese Kompetenzen haben etablierte Unternehmen, sonst hätten sie sich nicht etablieren können.
Daher liegt in der Zusammenarbeit von Corporates und Startups großes Potenzial. Startups können bei der Digitalisierung der deutschen Wirtschaft eine Schlüsselrolle spielen – wenn die Industrie sie lässt. Längst gibt es viele erfolgreiche Beispiele für die Kooperation von etablierten Unternehmen und Startups. Die Rollenverteilung ist dabei klar: Corporates bringen ihre Erfahrung, Kunden, Netzwerke und Kapital ein, Startups ihre innovativen Ideen, ihre Agilität und ihren Unternehmergeist. „Als einen Lösungsansatz haben Corporates Inkubatoren oder Labs entdeckt“, sagt Peter Lennartz von EY. „Sie werden mit dem Ziel etabliert, außerhalb der Konzernstrukturen einen geschützten Raum zu schaffen, in dem die Unternehmen mit Startups und Mentoren zusammenarbeiten und in dem sie fundamentale, innovative Ideen verfolgen können.“
„Die Ergebnisse zeigen, dass die volle tragweite der digitalisierung bislang häufig noch nicht erkannt wird“
Der geschützte Raum ist wichtig, damit die Startup-Mentalität erhalten und nicht durch die Konzernkultur zerstört wird. Next47 heißt dieser geschützte Raum bei Siemens oder Kloeckner.i beim Stahlhändler Klöckner. Dennoch hoffen diese Konzerne – wie andere Unternehmen auch –, dass der Startup-Spirit am Ende auch die etablierte Organisation erfasst. Inkubatoren sind aber nur die erste Stufe. Richtig spannend wird es, wenn daraus eine echte Zusammenarbeit entsteht. Beispiel BMW und Proglove: Das Münchner Startup konnte seinen smarten Arbeitshandschuh mit integriertem Barcode-Scanner im BMW-Werk Dingolfing weiterentwickeln, testen und gemeinsam mit dem Autohersteller für die industrielle Anwendung optimieren. Nach erfolgreichen Pilotprojekten setzt BMW das Wearable von Proglove nun in sechs seiner Werke ein. Proglove treibt seine Internationalisierung voran – mit Unterstützung von BMW. Beispiel Audi und Arculus: Das Ingolstädter Startup hilft dem Autobauer seine Produktion zu flexibilisieren und dabei intelligenter zu organisieren als am Fließband.
Neben den Unternehmen selbst, gibt es weitere Initiativen, die Corporates helfen, mit Startups in Kontakt zu kommen. Cube ist eine davon. Das globale Tech-Ökosystem stellt Partnerschaften zwischen Startups und Industrie-Konzernen her, fördert und pflegt sie. Unterstützt wird die Plattform unter anderem von Bayer und Volkswagen. Das Interesse der Industrie daran ist so groß, dass Startups bei der Cube Challenge im kommenden Jahr immerhin eine Million Euro gewinnen können.
Die Partnervermittlung läuft
Die großen Konzerne können es sich leisten, Geld und Manpower in die Zusammenarbeit mit Startups zu stecken. So haben fast alle 30 Dax-Unternehmen Strukturen geschaffen, um Anschluss an die Szene zu finden. Der Mittelstand tut sich da deutlich schwerer, doch auch hier gibt es Beispiele. Schleicher Electronic Berlin etwa hat mit den Schleicher Incubator Zoom Zone Labs (kurz: Sizzl) einen Ort geschaffen, wo Hardware-Startups nicht nur an ihren Ideen arbeiten, sondern sich auch mit erfahrenen Ingenieuren austauschen und die Produktionskapazitäten des Unternehmens nutzen können.
„Ob die Zusammenarbeit zwischen Großen und Kleinen wirklich funktioniert, hängt von der Auswahl der richtigen Partner auf beiden Seiten ab, vom gegenseitigen Vertrauen und von der Umsetzungsqualität“, sagt Peter Lennartz von EY. „Dies wird über die Zukunft der etablierten Unternehmen auf der einen und der Startups auf der anderen Seite entscheiden.“