Im Rennen um die richtige Politik
Die Gründung eines Verbands ist ein großer Schritt. Was waren eure Motive?
Florian Nöll: Der Verband ist Mittel zum Zweck. Ausschlaggebend für die Gründung war die Erkenntnis, dass das deutsche Startup-Ökosystem nicht weit genug war, um international mithalten zu können. Wir stellten uns die Frage, woran das lag. Diese Frage treibt uns heute noch an und mündet in weitere, beispielsweise wie wir unser Ökosystem grundsätzlich weiterentwickeln können. Deutschland liegt beim Funding-Volumen und bei der Anzahl der Börsengänge noch weit hinter den USA zurück. Leider treffen wir noch immer auf ein politisches Unverständnis. Deshalb haben wir an diversen Stellen noch Überzeugungsarbeit zu leisten. Nicht selten müssen Strömungen innerhalb der Parteien, die Startups positiv gegenüber stehen, gegen jene unterstützt werden, die andere Dinge auf der Agenda haben. Das sind teilweise dicke Bretter, die es zu bohren gilt.
Wie bewertet ihr die Bundestagswahl? Wo seht ihr Chancen und Risiken?
Sascha Schubert: Wenn Jamaika kommt, sehe ich das als Chance. Wir haben eine Union, die sich in den letzten Jahren klar zur Startup-Industrie bekannt hat. Hier sind Ansprechpartner, die eingearbeitet sind und voraussichtlich auch in der nächsten Legislatur eine Rolle spielen werden. Wir haben eine FDP, die quasi ihr gesamtes Wahlprogramm auf Digitalisierung aufgebaut hat. Jetzt sind sie in der Pflicht, das auch umzusetzen. Und die Grünen dürften mit Tatendrang in eine neue Regierung eintreten. Wir haben bei vielen Themen Gemeinsamkeiten. Viele Gründer wählen die Grünen aus persönlicher Überzeugung oder im Kontext von Themen wie Nachhaltigkeit, Energie oder Mobilität. Wichtige Themen, bei denen wir ein guter Ansprechpartner sind.
Florian Nöll: Ich denke nicht, dass es unsere Aufgabe ist, Parteien zu bedauern. Wenn überhaupt, bedauern wir das Ausscheiden einzelner Personen. Wir hätten sicherlich gerne weiter mit Brigitte Zypries zusammengearbeitet.
Wie ist euer Gefühl gegenüber den Politikern, mit denen ihr künftig arbeiten müsstet?
Sascha Schubert: Bei denen, die auf politischer Ebene Verantwortung bekommen, sind wir optimistisch, dass wir entweder gute Beziehungen haben, auf die wir aufbauen oder neue Beziehungen etablieren können. Wir hatten ein sehr effizientes Wirtschaftsministerium, das offen für Startups war und viel getan hat. Das Thema ist aber auch in den Parteien, in denen es früher nicht verstanden wurde, angekommen – auch bei den Grünen. Ich denke, dass die Grünen am ehesten in der Lage sind, destruktiv zu denken und Themen radikal zu hinterfragen. In diesem Punkt ähneln sie einem Startup.
Habt Ihr einen Wunschkandidaten für das Amt des Wirtschaftsministers?
Florian Nöll: Nee, wir haben mit dem liberalen Wirtschaftsminister Rösler gut zusammengearbeitet, genauso wie mit zwei sozialdemokratischen Wirtschaftsministern. Wir kommen mit einer Ramona Pop gut klar, haben gute Beziehungen zu den Ministern in Baden-Württemberg oder zu einer CDU-Wirtschaftsministerin in Hessen.
„Startups bilden den Mittelstand von morgen, oder sogar die Basis für die Weltmarktführer von morgen“
Und wie sieht es beim Thema Digitalministerium aus? Was muss eurer Meinung nach passieren, um den nächsten Schritt zu gehen?
Florian Nöll: Wir brauchen ein eigenständiges Digitalministerium. Da wir in erster Linie ein Wirtschaftsverband sind, der Startup- Interessen vertritt, nimmt dieser Punkt natürlich einen großen Stellenwert ein.
Sascha Schubert: Bei der Berliner Wahl haben wir zuletzt, relativ laut einen Digital- oder Internetsenator gefordert. Der wurde nicht geschaffen. Es gibt in jeder Partei einen Mittelstandsbeauftragten, einen für Groß- oder Familienunternehmen. Unser Ziel ist es, dass in jeder Partei bei der Frage danach, wer für Startups zuständig ist, drei oder vier die Hand heben. Dazu muss klar kommuniziert werden: Startups bilden den Mittelstand von morgen, oder sogar die Basis für die Weltmarktführer von morgen. Zalando ist ein sehr junges Unternehmen, das an der Börse glaube ich fast so viel wert ist wie Lufthansa. Davon gibt es immer mehr – relativ jung und relativ groß. Diese Unternehmen stehen am Anfang ihrer Geschichte, nach zehn Jahren ist ja nicht Schluss. Bei SAP ging es nach dem Börsengang erst richtig los. Das Unternehmen ist von 1000 auf rund 80.000 Mitarbeiter gewachsen. Ich habe letztens mit einem Politiker gesprochen, der wusste nicht, dass Zalando aus Deutschland kommt. Das ist ein Problem und ein gutes Beispiel für unser Tagesgeschäft, die Wahrnehmung für die Startups zu schärfen.
Wenn man in diesem Kontext jetzt mal ketzerisch sagen würde: Rösler, Gabriel und Zypries haben eigentlich als Wirtschaftsminister aus Sicht der Startups überhaupt nichts erreicht?
Florian Nöll: Das würde ich nicht unterschreiben. Rösler hat 2012 ein Maßnahmen-Papier zur digitalen Wirtschaft vorgestellt, das in der Legislatur der rote Faden war. Es wurden Themen wie das Börsensegment abgehandelt oder der Wagniskapital-Zuschuss. Es waren wichtige Themen zur KfW enthalten – dass sie wieder als Ankerinvestor in Venture-Capital-Fonds fungiert. Irgendwie – auch wegen unserer Arbeit – haben wir es geschafft, dass die Bundesregierung auch 2013, obwohl die FDP nicht mehr dabei war, diesen roten Faden weitergesponnen hat.
Das heißt, der Geist der FDP war nach wie vor präsent?
Sascha Schubert: Man hat zumindest gute Konzepte nicht verworfen. Ein Sigmar Gabriel war nicht immer sehr präsent, womit wir nicht immer glücklich waren. Aber das neue Börsensegment hat er von Anfang bis Ende durchgedrückt und seinen Teil zur Umsetzung beigetragen. In der gleichen Zeit war Brigitte Zypries diejenige, die quasi die Fahnen hochgehalten hat und sich trotz anfänglicher Skepsis den Respekt der Szene erarbeitet hat. Bei ihr hatte man keinen Zweifel daran, dass sie Lust hat und nicht bloß irgendwie musste.
Was ist daraus entstanden? Welche Maßnahmen oder Instrumente hat Brigitte Zypries tatsächlich umgesetzt?
Sascha Schubert: Ein wirtschaftspolitisches Instrument ist die KfW. Da sind die Mittel erhöht wurden und mit Coparion wurde ein Fonds geschaffen, in dem 225 Millionen liegen. Auch ein High-Tech Gründerfonds hat mehr Mittel bekommen. Das geht nur mit Unterstützung des Wirtschaftsministeriums. Jedes Landwirtschaftsministerium und jede Landesbank hat ihre Fonds erhöht. Die grundsätzliche Richtungsänderung pro Startups hat dazu geführt, dass die Länder viel mehr gemacht haben. Früher hieß es Startups sind nicht relevant. Inzwischen sagt das keikeiner mehr. Das führt zu konkretem Handeln an allen Stellen. In den Berliner Universitäten werden eigene Mittel zur Verfügung gestellt. Die Hochschulen, die ehemaligen Fachhochschulen erhalten ein Gründungszentrum, in dem sie alle zusammen arbeiten. Die Politik muss hier nicht nur einmal angestoßen werden. Das ist dann die Aufgabe einer Interessenvertretung, wie wir es sind.
„Wir brauchen ein Zuwanderungsgesetz, denn Vielfalt ist für uns erfolgsentscheidend“
Was muss jetzt von der neuen Regierung gefordert werden, gibt es Handlungsempfehlungen, Stichwort Startup Agenda?
Florian Nöll: Wir brauchen mehr Gründer. Das ist eine Frage der Bildung – aber auch das Thema einer Kultur der zweiten Chance. Jeder zweite Deutsche sagt, er würde nicht gründen, weil er Angst vorm Scheitern habe. Das ist eine immense Bremse. Ein weiterer Punkt ist das Thema Finanzierung. Wie schaffen wir es, aus den Kapitalsammelstellen – Versicherungsfonds und Pensionskassen – Eigenkapital zu mobilisieren. Wir haben Vorschläge gemacht, wie eine Umsetzung aus dem deutschen Mittelstand heraus beziehungsweise den vererbten Eigenkapitalmassen, die auf Tagesgeldkonten von Familienunternehmen rumliegen, funktionieren kann. Hier geht es um steuerliche Anreize. Mitarbeiterbeteiligungsprogramme müssen in Deutschland richtig geregelt werden. Als dritte Säule ist ein Zuwanderungsgesetz nötig, weil Vielfalt für uns erfolgsentscheidend ist.
„Wir wollen den Markt betreten, um den Weg für Startups zu ebnen und den Wissensaustausch zu organisieren“
Apropos International - ihr seid auch außerhalb von Deutschland aktiv.
Florian Nöll: Wir wollen Gründungsstandorte verbinden. Dazu haben wir ein Israel- Programm initiiert, das israelischen Startups hilft, den Weg nach Deutschland zu finden – entweder im Rahmen der Suche nach Mitgründern aus Deutschland oder bei der Suche nach Industriepartnern. In Indien machen wir etwas ähnliches. Indien ist ein riesiger Markt. Mit Blick auf die Entwicklung von China, wo inzwischen viele deutsche Startups unterwegs sind und wesentliche Umsatzanteile machen, sehen wir in Indien große Potenziale. Wir wollen den Markt betreten, um den Weg für Startups zu ebnen und den Wissensaustausch zu organisieren.
Eine weitere Eurer Aktivitäten ist der Startup-Monitor, der gerade zum fünften Mal erschienen ist. Was ist Eure Motivation dabei?
Florian Nöll: Wir wollen erklären, wie die Startup-Welt funktioniert. Aus Beobachtungen lässt sich nicht ermitteln, wie sich zum Beispiel die Startup-Szene in Leipzig oder in Kaiserslautern entwickelt. Wir brauchen einen Beleg, die empirische Unterfütterung für unsere politische Agenda. geschaffen werden. Wir wollen herausfinden, ob ein Programm beim Gründer angekommen ist und welchen Einfluss es auf die Strukturen hatte. Nehmen wir das Thema Frauen: Der Anteil von Frauen in Startups, die Startups gründen, steigt – langsam, aber stetig. Auch Entwicklungen bei den Schwerpunkten der Szene interessieren uns. Früher stand Fundraising thematisch auf Platz eins. Inzwischen ist das Thema Vertrieb wichtiger geworden. Es ist wichtig, Bescheid zu wissen, um zu entscheiden, ob man mit der Politik spricht. Betrachten wir die Zusammenarbeit zwischen Startups und etablierter Wirtschaft. Jeder beschäftigt sich damit, aber keiner weiß, wie der Status ist. Im Startup-Monitor steht dann, dass 75 Prozent es machen und gleichzeitig 95 Prozent denken, dass es nicht gut funktioniert.
Gibt es Meilensteine und Ziele für die kommenden fünf Jahre? Wann sagt ihr „Mission accomplished“?
Sascha Schubert: Ein Unternehmen, das in den letzten zehn Jahren gegründet wurde und bei dem die Gründer noch operativ an Bord sind – soll in den DAX. Dazu gehört ein geschlossener Finanzierungskreislauf, das heißt auch ein funktionierender Börsenmarkt. Zudem müssen wir einen kulturellen Wandel schaffen. Jeder Student muss die eigene Gründung als Berufsziel in Erwägung ziehen.
Florian Nöll: Ein regelmäßiger Austausch mit der Politik ist wichtig. Nicht nur Studenten sollen an Startups denken, auch die Politik – mehr als jetzt. Wir wollen daran arbeiten, dass die Finanzierungslücke zu anderen Ländern weiter geschlossen wird. Künftig können Forderungen, wie ein Prozent des Versicherungsgeldes aus bestimmten Bereichen soll in Wachstumskapital investiert werden, das Ökosystem antreiben, sodass unser Finanzierungsrückstand im Vergleich zur Größe der USA nicht einen Faktor sieben oder acht zeigt, sondern vielleicht noch zwei oder drei. Wir können kein Google, kein Facebook bauen, wenn wir es uns leisten, nur zwei Milliarden in Startups zu investieren.
„Mit Visionen muss man nicht zum Arzt gehen, sondern an die Börse!“
Sascha Schubert: Es hat mich viele Gespräche gekostet, der Politik zu erklären, dass man mit Visionen nicht zum Arzt gehen muss, sondern an die Börse. Damals, als Rösler gesagt hat, wir brauchen ein Börsensegment, danach Gabriel damit konform ging, da hatten wir die Themen plötzlich im Koalitionsvertrag. Bis dahin mussten wir Grundlagen klären: Was ist ein Startup? Wie finanziert es sich? Welche Rolle spielt da die Börse? Warum haben wir nicht die Zeit, zu besprechen, was alles schiefgelaufen ist, sondern müssen nach vorne blicken und zur Kenntnis nehmen, dass die Vereinigten Staaten in der gleichen Zeit aus ihrer New Economy „The Economy“ gemacht haben und wir nicht – zumindest nicht in der Digitalwirtschaft auf Weltniveau. Deshalb ist meine Herangehensweise: Was machen wir in den nächsten drei bis fünf Monaten? Da wird ein Koalitionsvertrag geschrieben. Was dann im Vertrag steht, wird vielleicht umgesetzt. Was nicht drinnen steht, wird auf keinen Fall umgesetzt. Es muss für uns das oberste Ziel sein, zu klären, wie viele Gespräche und mit wem wir diese führen müssen, damit die wichtigsten Punkte unserer Agenda aufgenommen werden.
Noch eine letzte Frage. Glaubt ihr, dass ihr manchmal zu nah an der Politik dran seid und deshalb keinen ausreichend kritischen Dialog führt?
Florian Nöll: Mein Eindruck ist, dass uns viele andere Verbände dafür beneiden, dass wir es geschafft haben, viele persönliche Beziehungen zu etablieren. Und meine feste Überzeugung ist, dass es uns in den letzten fünf Jahren nicht davon abgehalten hat, im entscheidenden Moment auch Zähne zu zeigen und auf politische Freundschaft keine Rücksicht zu nehmen, wenn es für die Startups wichtig war.
Das Gespräch führte Jan Thomas.
[td_block_text_with_title custom_title=”FLORIAN NÖLL”]Florian Nöll ist Vorsitzender des Vorstands des Bundesverbands Deutsche Startups, überzeugter Unternehmer und Experte für Startups und digitale Wirtschaft. Er fungiert als Mentor für junge Gründer und Ansprechpartner für die Politik. deutschestartups.org