So bewerten Investoren Unternehmen vor der Finanzierung
Investoren erhalten jeden Monat hunderte von Anfragen und müssen schnell entscheiden, welche Anfragen sie in Zeiten globaler Megatrends wie der Disruption durch Technologie, dem demographischen Wandel und der Globalisierung weiterverfolgen. So stieg europaweit die Zahl der Finanzierungsrunden im ersten Halbjahr 2016 im Vergleich zur Vorjahresperiode um 40 Prozent auf mehr als 1110, der Gesamtwert der Risikokapitalinvestitionen lag mit 6,4 Milliarden Euro hingegen leicht unter dem Vorjahresniveau, wie aus dem Startup-Barometer von EY hervorgeht.
Aber nach welchen Kriterien treffen Investoren ihre Entscheidung vor der Finanzierung? Unter dem Titel „Value quest: How do investors find value amid the crowd of private companies?“ hat das Marktforschungsinstitut Oxford Economics im Auftrag der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY 550 Investoren – jeweils zu etwa einem Drittel institutionelle Anleger, Beteiligungsgesellschaften und Venture-Kapitalgeber – nach ihrem Vorgehen befragt. Obwohl es klare Gemeinsamkeiten gibt, konnte EY auch einige Unterschiede feststellen, vor allem regionale.
Starke Teams sind das A und O
Für 65 Prozent der Befragten ist das Managementteam des Startups das wichtigste Kriterium. Dabei spielen nicht nur einzelne Biografien eine Rolle, sondern vor allem wie das Team interagiert. Die kritischste Komponente sei die Stärke des Führungsteams, damit dies nicht von einer individuellen Person abhängig ist, sagt Oliver Pursche, CEO der Investmentbank Bruderman Brothers.
Eng verbunden mit der Team-Zusammenstellung gilt als zweiter wichtiger Faktor bei der Finanzierung die Wahl der externen Berater wie Investment-Banker, Juristen und Auditoren. Laut Pursche stärkt „ein Top-Team externer Berater die Story. Was wirklich zählt, ist der Wert der Reputation.“ Wie wichtig der Ruf der externen Berater ist, hängt allerdings stark von der Region ab. Vor allem in Frankreich und Japan hängt die Einschätzung des Unternehmenswertes stark von bestehenden Investoren ab. 91 Prozent, beziehungsweise 90 Prozent der Befragten in den beiden Ländern gaben diese Auskunft. Bei US-Investoren legen nur 66 Prozent Wert auf den Ruf externer Berater. Auch hierzulande zählt die finanzielle Performance mehr als das Netzwerk.
Die nackten Zahlen
Ausschlaggebend sind am Ende des Tages die harten Fakten – Umsatz, Gewinn und Wachstum. Laut Pursche könnte der Fokus auf die Kernzahlen sogar noch weiter zunehmen. Der Grund: Investoren werden skeptischer und „die Ära des billigen Geldes geht zu Ende“. Statt auf reines Umsatzwachstums und die Nutzerbasis zu schauen, rückt das operative Ergebnis mit Gewinn vor Zinsen und Steuern, Abschreibungen (EBITDA) in den Vordergrund. Für 51 Prozent der befragten Investoren sind diese Zahlen die bevorzugte Methode, Unternehmen aus buchhalterischer Sicht zu beurteilen.
Bei der Art der Startups, in die Investoren Geld anlegen, liegen vor allem Technologie- und Finanz-Unternehmen an erster Stelle, dicht gefolgt von Biotech und Energie. Allerdings geht die Präferenz immer stärker in Richtung Schnittstellen-Technologie wie Fintechs oder Biotech sowie anderen Formen der Spezialisierung. Das Interesse an Medien, Immobilien, Transport und Einzelhandel sinkt hingegen.
Investoren sind … erstaunlich konservativ
Trotz offener Grenzen und Globalisierung investieren Geldgeber vor allem im bekannten, geografischen Umfeld. Größtes Hindernis ist dabei nicht die Investition an sich, sondern alles, was darüber hinausgeht wie die fachliche Unterstützung oder das Netzwerk, das Unternehmen beim Wachstum hilft. Auch während der Verhandlungen halten sich Investoren gerne zurück und bestehen nicht darauf, die Runde anzuführen. 42 Prozent sehen sich als Co-Leader, 36 Prozent sogar auf einer kleineren Position ohne große Verhandlungsmacht.
Betrachtet man die Gruppen detailliert, sind es vor allem die institutionellen Anleger, die mitreden wollen, während VCs und Beteiligungsgesellschaften sich lieber zurückhalten. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass Investoren sich lieber als Teil einer Gruppe sehen. Startups müssen sich deshalb darauf einstellen, mehrere Beziehungen gleichzeitig zu pflegen.
Als dritter Faktor bei der Finanzierung wird eine überzeugende Wachstumsstory von Pre-IPO-Investoren genannt. „Von der überwiegenden Mehrheit der befragten Investoren wird ein Unternehmenswachstum zwischen zehn und 20 Prozent pro Jahr erwartet“, erklärt Martin Steinbach, Head of IPO and Listing Services EY. „Dabei ist es wichtig, einen klaren Pfad zum Erreichen der Profitabilität aufzeigen zu können. In stark disruptiven Märkten sind Schnelligkeit und Agilität des Unternehmens wichtige Werttreiber für Investoren.“
Exit oder IPO?
Einmal mit dem Unternehmen verbunden, erwarten 39 Prozent der Anleger von einem Verkauf (Trade Sale) zu profitieren, 35 Prozent hätten lieber den Börsengang. In China und den USA liegen die IPO-Verfechter mit 47 Prozent und respektive 48 Prozent deutlich vor denen, die lieber einen Verkauf sehen. Da US-amerikanische Investoren in der Studie überproportional vertreten waren, könnte der Anteil derer, die die Börse vorziehen, sogar etwas höher liegen, als der tatsächliche Schnitt, vor allem in Europa.
Die komplette Studie findet ihr unter betterworkingworld.ey.com.