Eventures-Partner Luis Hanemann für 2016
Eventures-Partner Luis Hanemann im Interview
Luis, ein kurzer Blick zurück, was hat Dich 2015 überrascht?
LUIS HANEMANN: Ich habe den Eindruck gewonnen, dass die Großkonzerne das Thema Digitalisierung und Startups jetzt ernst nehmen. Man bekommt inzwischen als VC oder als Startup relativ schnell Gesprächstermine – und das auch gleich auf Vorstandsebene. 2015 war das Jahr des Durchbruchs. Es ist gut für uns Investoren, weil wir hier mögliche weitere Geldgeber finden, und natürlich ist es gut für das ganze Startup-Ökosystem.
Und welcher Großkonzern hat das Thema auch verstanden?
LUIS HANEMANN: Ich habe kürzlich Paul Achleitner, den Aufsichtsratschef der Deutschen Bank, auf einer Veranstaltung gehört. Da hatte ich den Eindruck, die haben noch nicht den großen Durchblick. Sie haben zwar etwas angekündigt, aber es wird noch dauern, bis da etwas kommt. Wer das Thema gut macht, sind beispielsweise Handelsunternehmen, unter anderem einer unserer Geldgeber, die Otto Group. In den Medien sehe ich neben Axel Springer wenige Verlage, die die richtigen Schlüsse aus der Digitalisierung gezogen haben.
Was war sonst noch wichtig für die VC- und Startup-Szene?
LUIS HANEMANN: Für mich ganz klar, dass Berlin jetzt unangefochten zu den Top zwei Standorten in Europa gehört. Ich würde nicht sagen, wir sind Nummer eins, weil London extrem wichtig ist. Aber in einigen Vergleichen liegt Berlin vorn, etwa in der Frage, wie viel Geld in diesem Jahr investiert wurde. Das hat viel mit Rocket Internet und den großen Investments zu tun, aber daneben hat sich noch viel mehr entwickelt, sodass Berlin sich nicht verstecken muss. Berlin ist in der VC-Branche kein Geheimtipp mehr und steht auch im Fokus ausländischer Investoren.
Was ist 2015 schiefgelaufen?
LUIS HANEMANN: Ich hätte mir gewünscht, dass die Beschlüsse zur Vorratsdatenspeicherung und zur Netzneutralität so nicht gefallen wären. Es heißt zwar, es gibt keine Diskriminierung, aber zwei Absätze später steht, dass Premiumdienste bevorzugt werden können. Als Bürger halte ich es für wichtig, dass alle freien Zugang ins Netz haben, und als VC ist mir wichtig, dass ein junges Startup keinen Wettbewerbsnachteil hat, wenn es mit einem großen Player konkurriert.
Wie sieht das Investitionsklima für 2016 aus?
LUIS HANEMANN: Ich denke, es wird zu einer Wertberichtigung bei den Einhörnern, also bei den Startups mit Milliardenbewertung, kommen. Wir erwarten nicht, dass hier eine Blase platzt, aber dass es zu einer vernünftigen Anpassung kommt. Das hat auch schon angefangen.
Wo zum Beispiel?
LUIS HANEMANN: Beim Bezahldienst Square zum Beispiel, der von den Investoren mit sechs Milliarden Dollar bewertet wurde und für drei Milliarden Dollar an die Börse gegangen ist. Insgesamt glaube ich, dass das Investitionsklima gut bleibt. Aber es wird schwieriger für Business-Modelle, die kein Geld generieren.
So sollte es ja auch sein.
LUIS HANEMANN: Das klingt banal, aber teilweise gab es in der VC-Welt die Auffassung, solange es viele Besucher oder Nutzer gibt, wird sich die Monetarisierung irgendwann lösen.
Das gilt jetzt nicht mehr?
LUIS HANEMANN: Jetzt wollen sie verstärkt Business-Modelle mit Umsätzen sehen, von Gewinnen ist da noch nicht zwangsläufig die Rede. Aber der Druck wächst, weil man weiß, dass sich das Investitionsklima irgendwann verschlechtern wird. Ich glaube, das wird noch nicht Anfang 2016 sein, aber vielleicht gegen Ende des Jahres, abhängig davon, wie stark diese Wertberichtigungen sein werden.
Spielt die Terrorgefahr für die Investoren eine Rolle?
LUIS HANEMANN: Weniger. Startups im Security-Bereich profitieren natürlich eher davon. Aber sonst spielt das in unserer Branche kaum eine Rolle.
Welche technischen Trends siehst Du?
LUIS HANEMANN: Fintech wird weiterhin eine extrem wichtige Rolle spielen. Wir haben relativ viele Investments dort – unter anderem in Tandem, eine Bank in UK, die 2016 launchen wird, und Azimo, einen Service, der Geldtransfer deutlich günstiger macht. Es gibt einen starken Bedarf der Konsumenten nach nutzerfreundlichen Lösungen auch im Versicherungsbereich, wie zum Beispiel der Zuspruch zu Friendsurance zeigt.
Für Fintech braucht man einen langen Atem. Wie lange wird es dauern, bis der Durchbruch kommt?
LUIS HANEMANN: Das geht einher mit der Frage, wie lange die Startups finanziert sind. Derzeit sind die klassischen Banken vor allem mit einem Thema beschäftigt: Regulierung. Doch irgendwann werden sie beginnen, in die neuen Services zu investieren und Fintechs zu übernehmen. Das wird innerhalb der kommenden fünf Jahre passieren. Die Direktbanken fangen schon an, sich anzupassen.
Was sind andere große Themen?
LUIS HANEMANN: Property Tech wird groß werden, also alles rund um Immobilien. Es geht um die ganze Wertschöpfungskette, der eine will den Makler ersetzen, der andere kümmert sich um die Einrichtung der neuen Wohnung. Da werden wir viele Startups sehen im kommenden Jahr.
Was ist der Treiber dieser Entwicklung?
LUIS HANEMANN: Die Größe des Marktes und seine Ineffizienzen sowie die Bereitschaft der Kunden, so etwas jetzt auch digital zu machen. Bei den Maklern ist es natürlich auch die geänderte Gesetzeslage. Würden wir über 2017 sprechen, dann würde ich sagen, dass sich auch im Bereich Law Tech viel tut, also bei der Digitalisierung der Rechtsthemen. Eines der ersten Startups hier ist Flightright, doch da kommen viele weitere Startups mit Potenzial. Allerdings sehe ich da eher kleinere und weniger globale Player.
Gibt es weitere Trends?
LUIS HANEMANN: Alles was mit Sensoren zu tun hat: von Digital Health bis zum Maschinenbau. Der Einsatz von Sensoren explodiert gerade. Das sehen wir an den Pitches: Immer mehr Unternehmen statten Maschinen mit Sensoren aus. Das ist ein Teilbereich des Internets der Dinge, der im Moment enorm an Fahrt gewinnt. Bei Digital Health muss sich jetzt zeigen, dass die Anbieter mehr können als Schritte zählen und Fitnessarmbänder. Aber wenn man die Ankündigungen der Krankenkassen hört in Richtung Datenschutz, sehe ich nicht, dass da nächstes Jahr der Durchbruch kommt.
Wie erkennt Ihr Trends?
LUIS HANEMANN: Wir haben zwei verschiedene Herangehensweisen. Die eine ist technologiegestützt. Wir haben ein Tool, das den gesamten Startup-Markt analysiert.
Was wird da genau beobachtet?
LUIS HANEMANN: Das Tool hat etwa 100 verschiedene Datenquellen. Da werden wöchentlich 5000 Startups eingespeist, am Ende kommen 20 bis 30 Startups heraus, die wir uns in der Woche ansehen. Wir sind ein Team von weltweit weniger als 30 Leuten, anders könnten wir 5000 Startups nicht bewältigen. Der andere Weg ist der klassische: Wir gehen auf Veranstaltungen, treffen Gründer und lassen uns Intros machen zu spannenden neuen Gründern.
Besteht da nicht die Gefahr, dass man sich zu sehr in den immer gleichen Kreisen bewegt und nichts Neues mitbekommt?
LUIS HANEMANN: Ich sehe dieses Risiko bei uns und anderen Investoren auch, dem kann man erstens durch den Technologieansatz entgegentreten. Wir sprechen proaktiv interessante Startups an, auch wenn sie uns niemand empfohlen hat. Das hilft, das Risiko zu minimieren. Und wir scheuen uns zweitens auch nicht, an Orte zu gehen, die nicht zu den Startup-Hotspots gehören. Wir sind kurz davor, in Porto in Portugal ein Investment abzuschließen bei einem Startup, das eine extrem spannende App-Technologie entwickelt.
Gibt es auch Trends im Bereich Finanzierung?
LUIS HANEMANN: Ja, ich finde es zum Beispiel bemerkenswert, dass das Volumen des Crowdfunding in den USA ähnlich hoch ist, wie das des gesamten VC-Marktes. Überhaupt kommt immer mehr ‚artfremdes Kapital‘ in den Markt, etwa von Hedgefonds und Private Equity, die früher nie in Startups investiert hätten.
Warum jetzt?
LUIS HANEMANN: Weil die Zinsen niedrig sind und aus Mangel an Alternativen. Für einige hat das ja auch gut funktioniert.
Welche Rolle spielt das Bauchgefühl bei der Entscheidung über ein Investment?
LUIS HANEMANN: Am Ende spielt es noch eine große Rolle. Die Technologie unterstützt uns bei der Selektion, aber die Entscheidung treffen wir als Menschen beziehungsweise als Team. Wir haben einmal die Woche eine Zeit, in der wir zusammenkommen, entweder persönlich oder über Video Call, und dann sprechen wir über die Firmen und auch über unsere Bauchgefühle und treffen unsere Entscheidung.
Wie wird eine Entscheidung getroffen?
LUIS HANEMANN: Am Ende entscheiden die Partner, aber jeder im Team kann zu der Entscheidung beitragen.
Ist das eine Mehrheitsentscheidung?
LUIS HANEMANN: Wenn ein Partner von einer Sache komplett überzeugt ist, dann ist es seine Aufgabe, die anderen zu überzeugen. Aber im Zweifel sagt man dann als VC eher nein, falls es zu keinem Konsens kommt.
Was hast Du Dir für 2016 vorgenommen?
LUIS HANEMANN: Ich habe mir vorgenommen, eine bessere Balance zu finden zwischen meinen Aufenthalten in Berlin und meinen Reisen. In den letzten fünf Wochen war ich in fünf verschiedenen Ländern: Polen, Schweden, Großbritannien, Frankreich und Portugal. Und dann werden wir die Eventures-Plattform weiterentwickeln, über die wir unseren Portfo-lio-unternehmen zum Beispiel Marketingunterstützung und nützliche Tools bereitstellen. Darin unterscheiden wir uns von anderen VCs, wir nennen es den Eventures-Effekt. Und wir ziehen in ein neues Büro am Checkpoint Charlie, das wollen wir mit Leben füllen. Das ist unser Bekenntnis zum Standort Berlin.
Das Gespräch führte Corinna Visser.