Die Renaissance der Vielfalt
Deutschland, das Land des Reinheitsgebotes und der Fernsehbiere. Hier wird Biertradition noch groß geschrieben. Sei es dank Bier, das aus „Felsquellwasser gebraut“ wird, um die „Perle der Natur“ oder um die Mittagspause im „Paulanergarten“. In Deutschland kommt das Fernsehbier gefühlt kurz nach der Muttermilch.
Doch die Zeiten ändern sich. Statt Fernsehjingle à la „Sail away“ stimmen Deutschlands Brauereien ein in eine Kakophonie des Trübsals und des Jammerns. Der Grund: Der jährliche Pro-Kopf-Bierkonsum in Deutschland ist eingebrochen – von rund 125 Litern in 2000 auf 104 Liter in 2016. Alleine in den ersten neun Monaten des laufenden Jahres ging der Bierabsatz in Deutschland um 3,1 Prozent auf rund 72 Millionen Hektoliter zurück. Das Bier, das einst „so ‘erlisch geprickelt hat in Haralds Bauchnabel“, prickelt also immer seltener. Die etablierten Brauereien liefern sich ein Rückzugsgefecht, Ausgang offen. Aktuell stehen mit Hasseröder und Diebels angeblich wieder zwei bekannte deutsche Biermarken zum Verkauf. Und auch die erfolgsverwöhnte Brauerei Oettinger, immerhin Nummer zwei im deutschen Markt, hat sich unlängst von ihren Geschäftsführern getrennt. Wobei das größte Sorgenkind der Branche weiterhin der ehemalige Marktführer Warsteiner ist, dessen Umsätze alleine in den letzten zwei Jahren um circa zehn Prozent zurückgingen.
Genuss fernab der Preissensitivität
Doch es gibt Hoffnung. Denn während sich der Markt der etablierten Brauereien zunehmend konsolidiert, gibt es mit der aufkeimenden Craft-Beer-Szene einen spannenden Gegenentwurf zum Massengeschmack. Fernab vom Schweinebauch-Preiskampf der Etablierten, präsentieren sich die jungen deutschen Craft-Beer-Marken diesbezüglich noch recht immun. Die handwerklich hergestellten Biere öffnen vielmehr den Markt für zahlungskräftige Zielgruppen fernab des Mainstreams. Bier als Ausdruck der Individualität. Vor Jahren noch undenkbar, sind Bierkenner plötzlich bereit, deutlich mehr für den außergewöhnlichen Biergenuss zu zahlen. In einer Umfrage bekannten sich immerhin sieben Prozent der deutschen Biertrinker als sehr häufige Craft-Beer-Konsumenten – Tendenz steigend. Und auch der Ernährungsreport 2017 des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft bekräftigt die fehlende Preissensitivität im Craft-Beer-Segment: Für Konsumenten ist der Geschmack von Lebensmitteln beim Kauf das entscheidende Kriterium. Hinzu kommt, dass 73 Prozent der deutschen Konsumenten auf Regionalität achten. Der Preis hingegen ist nur für 57 Prozent das ausschlaggebende Kriterium. Gute Voraussetzungen für regionale Brauereien, die beim Geschmack punkten, aber deren Craft-Biere zumeist teurer sind als die der industriellen Brauereien.[td_block_text_with_title custom_title=”CRAFT BEER”]Ein Craft Beer ist ein handwerklich gebrautes Bier, das sich durch besondere Aromen auszeichnet. Im Fokus des Brauvorgangs stehen Kreativität, Natürlichkeit und die Qualität der Zutaten. Die geschmacklich besonderen Biere werden oft in einer unabhängigen Brauerei gebraut.